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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0048
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Grundsätze des Philosophierens

45

Und sterb’ ich, wird sich keine Seel’ erbarmen.
Ja, warum sollten’s Andre? Find ich selbst
In mir doch kein Erbarmen mit mir selbst.39
Die Würde dieses Bösen möchte sein, nicht umzubiegen in die lässige Daseinsgier
um jeden Preis, in irgendein kümmerliches Ja. Es ist ein Sterbenkönnen in das Nichts
aus dem Nichts; ein Trotz des Nichtlebenwollens, wenn es nicht das Leben von Macht
und Ruhm ist; ein Reflex des Unbedingten in der Wut des Bösen, des Seins im Nichts.
Wobei im Gang des Geschehens nicht einmal diese Würde aufrecht bleibt:
So stirbt Richard:
Rückt vor! dringt ein! recht in des Wirrwarrs Völle!
Wo nicht zum Himmel, Hand in Hand zur Hölle!40
Er kämpft mit gesteigerter Energie:
Wohl tausend Herzen schwellen mir im Busen.41
Noch hofft er, glaubt verzweifelt und glaubt doch auch nicht an den Sieg:
Der König tut mehr Wunder als ein Mensch,
Und trotzt auf Tod und Leben, wer ihm steht.
Ihm fiel ein Pferd, und doch ficht er zu Fuss ...42
Seine letzten Worte zeigen den unverwüstlichen Antrieb, nicht nur den schon ver-
lorenen Kampf bis zum letzten möglichen Augenblick fortzusetzen, sondern auch
noch an Rettung zu denken, um bloss zu leben:
Ich setzt auf einen Wurf mein Leben, Knecht,
Und will der Würfel Ungefähr bestehen ...
Ein Pferd! ein Pferd! mein Königreich für’n Pferd!43
All seine Macht für ein Pferd, um nur fliehen zu können! Die Macht ist nicht mehr
Lebensbedingung. Wie der endgültig geschlagene Napoleon sich in würdelose Gefan-
genschaft begibt und seine letzten Lebensjahre mit Scheingebärden der Würde aus-
füllt. Als ob das Böse auch darin sein Wesen zeige, dass es trotz der Haltung heroischen
Lebenseinsatzes nicht sterben kann äusser - wie Macbeth - in Verzweiflung des im
gröbsten Sinne unerträglich werdenden Daseins.
Es scheint eine Gemeinsamkeit des »Ranges« zwischen dem Guten und dem Bösen
zu bestehen, sofern das Böse konsequent bleibt, entschlossen ist und sterben kann. Shake-
speare zeigt nicht nur die Positivität des Bösen in der Welt, seine ungeheure, wenn auch
vernichtende Wirkung, er verbietet nicht nur, das Auge zu verschliessen vor dem Bösen.
Er zeigt auch, dass es in sich selber wie Unbedingtheit aussehen und in der Tat in seiner
Verkehrung die Unbedingtheit des Nichts sein kann. Aber Shakespeare verführt nicht ei-
nen Augenblick zum Glauben an den Selbstwert des Bösen. Er stellt es nicht nur stets in
den Schatten der ordnenden Weltmächte des Guten (Richard in den Schatten Rich-
monds, Macbeth in den Schatten Macduffs und Malcolms), sondern er zeigt das Böse sel-
ber ständig nur in seiner Verkehrung des Guten, nur in seiner Selbstzerstörung.
 
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