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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0060
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Grundsätze des Philosophierens

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Wir tragen ein Bild der Wahrheit in uns und besitzen nur Irrheit. Wir sind unfähig,
wahrhaft nichts zu wissen und etwas gewiss zu wissen.«61
b. Die Endlichkeit des Menschen. - Diea Endlichkeit des Menschen ist erstens die
Endlichkeit alles Vitalen. Er ist angewiesen auf seine Umwelt, auf Nahrung und Sinnes-
inhalte; er ist ausgeliefert der Erbarmungslosigkeit des stummen und blinden Natur-
geschehens; er muss sterben.
Die Endlichkeit des Menschen ist zweitens sein Angewiesensein auf andere Men-
schen und die von der menschlichen Gemeinschaft hervorgebrachte Welt. Es ist für
ihn auf nichts in dieser Welt Verlass. Glücksgüter kommen und zerrinnen. In der Ord-
nung der Menschen herrscht nicht allein eine durchgehende Gerechtigkeit, sondern
die jeweilige Macht, welche ihre Willkür für das Organ der Gerechtigkeit erklärt, da-
her jederzeit auch auf Unwahrheit gegründet ist. Staat und Volksgemeinschaft kön-
nen Menschen vernichten, die ein Leben lang für diese Umwelt im Dienste der Ideenb
arbeiteten. Verlass ist allein auf die Treue des Menschen in existentieller Kommunika-
tion, aber ohne Berechenbarkeit. Denn worauf hier Verlass ist, ist kein objektives, nach-
weisbares Dasein in der Welt. Und der nächste Mensch kann alsbald erkranken, wahn-
sinnig werden, sterben.
Die Endlichkeit des Menschen ist drittens, dass er sich auch als er selbst sich nicht
selbst verdanken kann. Er ist nicht durch sich selbst ursprünglich er selbst. Er ist, so
wie er sein Dasein in der Welt nicht durch eigenen Willen hat, auchc als er selbst sich
durch die Transzendenz geschenkt. Er muss sich ständig von neuem geschenkt wer-
den, wenn er sich nicht ausbleiben soll. Wenn der Mensch sich innerlich behauptet
im Geschick, wenn er unbeirrbar standhält noch im Sterben, so kann er das nicht
durch sich selbst allein. Was ihm hier hilft, ist aber von radikal anderer Art als alle Hilfe
in der Welt. Die transzendente Hilfe zeigt sich ihm allein darin, dass er er selbst sein
kann. Dass er auf sich selbst steht, verdankt er einer ungreifbaren, nur in seiner Frei-
heit selber fühlbaren Hand aus der Transzendenz.
Jedes Tier hat seine eigene Wohlgeratenheit, in seiner Begrenzung auch seine Voll-
endung. Preisgegeben ist es allein dem alles wieder einschmelzenden und neu hervor-
bringenden Naturgeschehen; und dies überkommt es, ohne dass es davon weiss. Al-
lein der Mensch weiss, dass er sterben muss, und dass er in ständiger Bedrohung lebt.
Aberd Wissen von seiner vitalen Endlichkeit ist noch nicht das entscheidende. Äusser
durch das Wissen vom Tode ist der Mensch von allem anderen Leben dadurch unter-
schieden, dass er in seiner Freiheit seiner Unvollendung und Unvollendbarkeit inne

a vor Die im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. Zeichnen wir in Kürze die Grundzüge:
b im Dienste der Ideen im Vorlesungs-Ms. 1945/46 gestr.
c auch im Vorlesungs-Ms. 1945/46gestr.
d nach Aber im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. dieses
 
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