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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0101
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98

Grundsätze des Philosophierens

stentiellem Ursprung das Vertrauen bewahrt, durch ihre Bewegung sich selber in den ihr
entgegenkommenden Gehalten geschenkt und in der Concretheit des Weltseins, in den
Abgründen der Antinomien, der Durchbrüche und Zerrissenheiten am Ende immer wie-
der der Transcendenz gewiss zu werden.
Vernunft bringt alle Weisen des Sinns von Wahrheit zu einander, indem sie jeden
zur Geltung kommen lässt. Sie verhindert, dass sich eine Wahrheit in sich beschränkt.
Sie begreift, dass jeder Glaube, der eine Weise des Umgreifenden isoliert und verabso-
lutiert, falsch ist. So irrt z.B. auch der »Glaube« des Bewusstseins überhaupt an die Wi-
derspruchslosigkeit des Seins. Denn Bewusstsein überhaupt kann immer nur soweit
kommen, zu sagen, dass ihm nicht fasslich ist, was seinen Grundsätzen, wie dem Satze
des Widerspruchs, nicht standhält. Aber auch die gesamten dem Bewusstsein über-
haupt zugänglichen Inhalte sind noch nicht das Sein selbst, sondern nur die Weise
von dessen Erscheinung in den Kategorien des allgemeingiltigen Denkens.
Es ist gleichsam eine Stimmung der Vernunft. In kühler Klarheit wirkt die Leiden-
schaft zum Offenen. Der vernünftige Mensch lebt so entschieden aus der Wurzel des ei-
genen geschichtlichen Grundes, wie er jede Weise begegnender Geschichtlichkeit sich
angehen lässt, um bis in die Tiefe der Geschichtlichkeit des Weltseins zu dringen, in der
erst die Mitwissenschaft mit allem möglich wird. Daraus erwächst, was zugleich antrieb,
die Liebe zum Sein, zu allem Seienden als Seienden in seiner Transparenz, vermöge der
es sichtbar dem Ursprung zugehört. Die Vernunft macht empfindlich3 in der Hellhörig-
keit, biegsam in der Communicationsbereitschaft, verwandlungsfähig in neuen Erfah-
rungen, aber dies alles nur geborgen in einem Grunde, unbeirrbar in Treue, lebendig in
gegenwärtig wirksamer Erinnerung von allem, was ihr einmal wirklich war.
Der Philosophierende kann nicht genug die Vernunft verherrlichen, durch die er
tut, was ihm gelingt. Vernunft ist das Band aller Weisen des Umgreifenden. Sie lässt
kein Seiendes sich absolut trennen, nicht in Beziehungslosigkeit versinken, nicht in
der Zerstreutheit nichtig werden. Nichts soll verloren gehen. Wo Vernunft wirksam
wird, sucht alles, was ist, Verbindung. Es erwächst ein universales Mitleben, das auf-
geschlossene Sichangehenlassen, der totale Communicationswille. Vernunft erweckt
die schlummernden Ursprünge, befreit das Verborgene, ermöglicht die Echtheit der
Kämpfe. Sie drängt auf das Eine, das alles ist, und sie hebt Täuschungen auf, die dies
Eine vorzeitig, unvollständig, parteiisch kristallisieren und fixieren.
c. Das Wahre und das Gute. - Man unterscheidet das Wahre im Gegensatz zum Fal-
schen vom Guten im Gegensatz zum Bösen? Das Wahre liegt im Wissen, Erkennen,

a empfindlich in der Abschrift Gertrud Jaspers hs. Vdg. für weich
b Man unterscheidet das Wahre im Gegensatz zum Falschen vom Guten im Gegensatz zum Bösen.
im Ms. Vdg. für Das Wahre im Gegensatz zum Falschen, das Gute im Gegensatz zum Bösen werden
unterschieden.
 
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