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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0121
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Grundsätze des Philosophierens

In dieser Lage vor der Realität gründet sich Handeln auf Grundgesinnungen, deren
mehrere möglich sind:
aa. Man gibt im Inneren alle Gesetze, Ordnungen, Forderungen preis, um die Spra-
che aller als Mittel in den Dienst eines Machtinstinkts zu stellen, der nur eines erstrebt:
in der Mannigfaltigkeit des jeweils Gegebenen die Wege der eigenen Machterhaltung
und Machterweiterung zu finden. Es ist der nihilistische Machtwille, dem alle Ideale,
jedes Ethos, die Wunschziele der Menschen nur Koulissen sind, mit denen von Fall zu
Fall operiert wird. Dieses Handeln ist, wo es in einer Welt fiktiv gewordener Ordnun-
gen plötzlich und radikal auftritt, unerhört wirksam, aber es entbehrt des Gehalts, hat
historisch nicht geistige Wirkungen, sondern nur reale entweder durch Zerstörung
oder durch Freilegung neuer, ihm selbst fremder Möglichkeiten. Es führt trotz augen-
blicklichem gigantischem Aufbau zur sicheren Selbstzerstörung, da es keinen Dauer-
zustand aus menschlichem Glauben und Vertrauen schaffen kann, sondern nur mög-
lich bleibt im Kampf. Es wird daher entweder durch Gegner zerschlagen oder endet
nach Überwindung aller Gegner durch Zerfall und Kampf mit sich im Nichts. Napo-
leon, dieser »absurde Mensch«, wie J. Burckhardt ihn nannte, ist ein Beispiel in Eu-
ropa.101
bb. Man beschränkt sich im Handeln auf Gesetz und Richtigkeit und hat das be-
queme Vertrauen, der Erfolg werde eintreten, wenn man sich nichts zu schulden kom-
men lasse. Aber auf diesem Wege sitzt man bald fest in einem Automatismus, in dem
man Gegenstand der Ausnutzung durch andere Mächte geworden ist. Und man erlebt
eines Tages die Enttäuschung, dass nicht sittlich und rechtlich richtiges Tun, sondern
der Zusammenhang mit realen Mächten über Erfolg und Dasein entscheidet.
cc. Man lebt aus einem Pathos menschlich wahrer und verlässlicher Zustände, die
zwar noch nicht da sind, aber aus schon wirklichen Ansätzen weiter erwachsen sollen.
Das Handeln wird geführt von Ideen, die diese Zustände fördern wollen. Die Ideale
heissen als concrete Entwürfe Utopien.
Das Handeln, als ob die Utopien schon Wirklichkeit seien, führt zwar schnell zum
Untergang. Man setzt fälschlich als gegeben voraus, was erst werden soll. Man gerät in
ein törichtes, eigenwilliges Scheitern.
Das Handeln aber, das alle Utopien als nichtig verhöhnt, findet einen Gegner im
ideengläubigen Menschen. Dieser weiss, hellsichtig in gegenwärtiger Realität, dass nie-
mand wissen kann, was an Idealen noch wirklich werden mag. Jedenfalls wird wirk-
lich nur, was im Glauben aus wirksamen Ideen verwirklicht wurde. Da in menschli-
chen Zuständen alles durch Menschen entsteht, die selber wollen und entscheiden
können, weiss niemand, was am Ende möglich ist, und wie weit im zunächst Utopi-
schen voran zu kommen ist. Denn der Mensch ist keine endgültige Realität. Daher
konnte Kant gegen »den Pöbel der Erfahrung«, welche vermeintlich solche Endgültig-
keit behauptet, die Ideen setzen.102 Es gibt die Versuche, statt mit dem Machtinstinkt
 
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