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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0128
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Grundsätze des Philosophierens

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trifft, nach ihrem gemeinsamen Willen auch den anderen trifft. Sie setzen sich mit glei-
cher Gefahr ein. Wo aber von Menschen her (was grundsätzlich anders ist wie aus der
Natur) den Ohnmächtigen die vernichtende Gewalt trifft, da wird, was dem einen ge-
schieht, der andere nicht überleben. Diese Verlässlichkeit unter Menschen ist aber kein
Verlass der Welt. Denn gerade die Verurteilung solcher Solidarität zu gemeinsamem Un-
tergang charakterisiert die Unverlässlichkeit im Ganzen. Und das, worauf hier Verlass
ist, ist nicht Vertrag und Berechenbarkeit, sondern transcendentes Geschenk des Selbst-
seins, das sich im Ganzen dem Wissen und Wollen und Verfügen entzieht.
Nur wo Staaten in einem Zustand wären, dass jeder Bürger (oder doch die Mehrzahl)
so zum anderen steht, wie es die absolute Solidarität fordert, da allein könnte Gerech-
tigkeit, Freiheit, Wahrheit im Ganzen wirklich sein. Denn nur dann stehen, wenn Einem
Unrecht geschieht, die Anderen wie ein Mann dagegen. Das war niemals so. Immer ist
es ein eng begrenzter Kreis von Menschen, oder sind es nur Einzelne, die für einander
im Äussersten, auch in der Ohnmacht, wirklich da bleiben und solidarisch haften.104 Da-
gegen steht die Solidarität gemeinsamen Kampfes zumeist unter unausgesprochenen
Bedingungen (faktischer Macht des Ganzen, wofür gekämpft wird, gemeinsame Daseins-
interessen); es können Situationen eintreten, wo alle auseinander laufen.
Kein Staat, keine Kirche, keine Gesellschaft schützt absolut. Solcher Schutz war nur
die schöne Täuschung ruhiger Zeiten, in denen die Grenze verschleiert blieb. Es ist ein
ungeheurer Kontrast zwischen dem ethischen Gerede aus pathetischen Grundsätzen,
etwa der verlogenen bürgerlichen Welt des letzten halben Jahrhunderts, und der fak-
tischen Realität.
Aus dieser Unwahrhaftigkeit kann eine neue Selbsttäuschung entstehen. Die pathe-
tischen Grundsätze lassen ohne Ansehen der Realität abstrakt in ein demonstratives
Opponieren und gar in den Tod gehen, »durch einen prahlerischen Tod Effekt ma-
chen«105 (Tacitus). Gegängelt durch wirklichkeitsferne Gedanken, ohne Ursprung in
der Existenz, nach aussen blickend, im Widerschein der anderen lebend, mit Argumen-
ten operierend, kann so der Mensch in die Eitelkeit geraten, in der er stirbt, aber nicht
seinen eigenen, eigentlichen Tod. Und um ihn stehen die anderen, selber keineswegs
zum Sterben bereiten Menschen, die nach der Anschauung von solchen Märtyrern
lechzen, um ihre falsche Urteilshaltung in nervöser Sensation bestätigt zu sehen.
Gegen die gesamte Unverlässlichkeit der Welt aber steht das Andere: In der Welt gibt
es doch das Glaubwürdige, das Vertrauen Erweckende, gibt es Ursprung und tragenden
Grund: Heimat, Landschaft und genius loci, - Eltern und Vorfahren, - Geschwister und
Freunde, - die Gattin. Es gibt den geschichtlichen Grund der Überlieferung in der eige-
nen Sprache, im Glauben, im Werk der Denker, der Dichter und Künstler.
Diese erfüllende Überlieferung ist entweder centriert in der Offenbarung: Gott ist
durch den Abstand seiner Ferne hindurchgebrochen, hat sich direkt gezeigt. Oder sie
ist in unbestimmter Ausbreitung sichtbar in der Höhe der Menschen, die gleichsam
 
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