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Grundsätze des Philosophierens
therapie - aus Amerika und der Todeskandidat von damals kann heute (i943a) noch
leben.120 Im Gewissesten, wenn es günstig ist, ist doch das mögliche Unheil verborgen
noch möglich; wenn das Gewisse aber vernichtend ist, so ist eine verborgene Hoffnung
niemals restlos ausgeschlossen. Wer wissen will, hat das Recht dazu nur, wenn er die
Seelenstärke besitzt, im Heil das Unheil, im Unheil das Heil als Möglichkeit nicht zu
vergessen, sein empirisches Wissen in der Schwebe zu halten.
3: Die Verwirklichung der modernen Wissenschaftlichkeit ist mit vielen Irrungen
verknüpft; ihre Wirkungen gehen unübersehbar bis in die Wurzeln menschlichen Da-
seins. Daher lässt die Wissenschaft eine Stimmung entstehen, die man Revolte gegen
Wissenschaft nennen kann. Diese Revolte versteht zumeist sich selber und die Wis-
senschaft nicht, gegen die sie angeht. Eins der tragischen Beispiele ist Goethes Kampf
gegen Newton, kein beiläufiger kleiner Irrtum Goethes, sondern eine sein Wesen er-
greifende Leidenschaft, die im heute offenbaren Irren eine Wahrheit birgt, aber aus
Mangel an Einsicht nicht rein zu Tage bringt: das Bewusstsein des menschheitsge-
schichtlichen Verhängnisses, das mit der Wissenschaft verbunden ist.121 Goethe, der
weitherzigste, offenste, toleranteste Mensch, der in allem, was ist, dessen Wesen ent-
deckt und gut findet, und der weiss um die Abgründe in der Absurdität der Welt, ins-
besondere der Geschichte [,]122 und um die Dämonien, er verstrickt sich hier in ein Netz
von ungerechten Irrtümern, in Bezug auf die Sache und auf die Person Newtons.123 Wie
ist das möglich? Wie in einem Symbol erfasste Goethe hier eine Macht, die anzutasten
schien, was Sein und Wahrheit ist. Er fühlte das Ende der ganzen Welt, aus der das
Abendland seit Jahrtausenden lebte. Er fasste den Reichtum noch einmal in sich. Er
ist die grosse, Ehrfurcht gebietende Gestalt, die für uns die Wahrheit einer versunke-
nen Welt vertritt, sie uns menschlich vollendet zum Bewusstsein bringt. Er sieht die
Modernität, während er auf der Grenze der Welten steht; er spricht hellsichtig von der
Zukunft. Aber wie die mathematische Naturwissenschaft, so ist die Wissenschaftlich-
keit im modernen Sinn ihm ein Ungeheuer, vor dem er die Fassung verliert, sodass er
sein besonnenes Denken nicht festhalten kann. In anderen Zusammenhängen scheint
er den Sinn und Wert der Wissenschaft klar zu sehen. Aber sein Wesen, in Revolte ge-
gen Wissenschaft, zeigt uns nicht mehr den Weg des Menschen im Ganzen. Die Höhe
der Menschlichkeit aber, die er verwirklichen konnte, ist unter den Voraussetzungen
der wissenschaftlichen Möglichkeiten noch von niemandem13 verwirklicht. Eine neue
Welt ist eröffnet, aber kein Mensch noch vermochte in ihr ihr genug zu tun.
Andere Revolten sind der Goethe’schen an tragischer Tiefe nicht zu vergleichen.
Die Abneigung gegen Technik (etwa bei J. Burckhardt),124 die Empörung gegen das Mas-
senwesen, gegen die Zerrissenheit des Weltbildes, wie es durch Wissenschaft gewor-
a 1943 in der Abschrift Gertrud Jaspers statt 1942 im Ms.
b statt niemandem im Ms. und in der Abschrift Gertrud Jaspers niemanden
Grundsätze des Philosophierens
therapie - aus Amerika und der Todeskandidat von damals kann heute (i943a) noch
leben.120 Im Gewissesten, wenn es günstig ist, ist doch das mögliche Unheil verborgen
noch möglich; wenn das Gewisse aber vernichtend ist, so ist eine verborgene Hoffnung
niemals restlos ausgeschlossen. Wer wissen will, hat das Recht dazu nur, wenn er die
Seelenstärke besitzt, im Heil das Unheil, im Unheil das Heil als Möglichkeit nicht zu
vergessen, sein empirisches Wissen in der Schwebe zu halten.
3: Die Verwirklichung der modernen Wissenschaftlichkeit ist mit vielen Irrungen
verknüpft; ihre Wirkungen gehen unübersehbar bis in die Wurzeln menschlichen Da-
seins. Daher lässt die Wissenschaft eine Stimmung entstehen, die man Revolte gegen
Wissenschaft nennen kann. Diese Revolte versteht zumeist sich selber und die Wis-
senschaft nicht, gegen die sie angeht. Eins der tragischen Beispiele ist Goethes Kampf
gegen Newton, kein beiläufiger kleiner Irrtum Goethes, sondern eine sein Wesen er-
greifende Leidenschaft, die im heute offenbaren Irren eine Wahrheit birgt, aber aus
Mangel an Einsicht nicht rein zu Tage bringt: das Bewusstsein des menschheitsge-
schichtlichen Verhängnisses, das mit der Wissenschaft verbunden ist.121 Goethe, der
weitherzigste, offenste, toleranteste Mensch, der in allem, was ist, dessen Wesen ent-
deckt und gut findet, und der weiss um die Abgründe in der Absurdität der Welt, ins-
besondere der Geschichte [,]122 und um die Dämonien, er verstrickt sich hier in ein Netz
von ungerechten Irrtümern, in Bezug auf die Sache und auf die Person Newtons.123 Wie
ist das möglich? Wie in einem Symbol erfasste Goethe hier eine Macht, die anzutasten
schien, was Sein und Wahrheit ist. Er fühlte das Ende der ganzen Welt, aus der das
Abendland seit Jahrtausenden lebte. Er fasste den Reichtum noch einmal in sich. Er
ist die grosse, Ehrfurcht gebietende Gestalt, die für uns die Wahrheit einer versunke-
nen Welt vertritt, sie uns menschlich vollendet zum Bewusstsein bringt. Er sieht die
Modernität, während er auf der Grenze der Welten steht; er spricht hellsichtig von der
Zukunft. Aber wie die mathematische Naturwissenschaft, so ist die Wissenschaftlich-
keit im modernen Sinn ihm ein Ungeheuer, vor dem er die Fassung verliert, sodass er
sein besonnenes Denken nicht festhalten kann. In anderen Zusammenhängen scheint
er den Sinn und Wert der Wissenschaft klar zu sehen. Aber sein Wesen, in Revolte ge-
gen Wissenschaft, zeigt uns nicht mehr den Weg des Menschen im Ganzen. Die Höhe
der Menschlichkeit aber, die er verwirklichen konnte, ist unter den Voraussetzungen
der wissenschaftlichen Möglichkeiten noch von niemandem13 verwirklicht. Eine neue
Welt ist eröffnet, aber kein Mensch noch vermochte in ihr ihr genug zu tun.
Andere Revolten sind der Goethe’schen an tragischer Tiefe nicht zu vergleichen.
Die Abneigung gegen Technik (etwa bei J. Burckhardt),124 die Empörung gegen das Mas-
senwesen, gegen die Zerrissenheit des Weltbildes, wie es durch Wissenschaft gewor-
a 1943 in der Abschrift Gertrud Jaspers statt 1942 im Ms.
b statt niemandem im Ms. und in der Abschrift Gertrud Jaspers niemanden