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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0158
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Grundsätze des Philosophierens

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senwollen dessen, was überall unabsehbar wirklich ist[,] und aus der Erfahrung des
Einen durch ein nur in diesem Wissen erreichbares, erfülltes Nichtwissen:
Erstens also bringt mich Wissenschaft klar und entschieden vor den Tatbestand als
solchen. Immer reiner bringt sie mir zur Gegenwart ein »so ist es«. Ich gewinne den
Blick in die Erscheinung, die ich zwar nicht zureichend deuten, aber wie eine Sprache
vernehmen kann. Wissenschaft zwingt, der realena Erscheinung, aller Realitätb ins An-
gesicht zu blicken, damit ich diese Sprache nicht vorzeitig vereinfache und sie nicht
aus Wunsch und Neigung eindeutig und falsch höre. Aus dem Entzücken an der
Schönheit und Harmonie in der Welt treibt Wissenschaft mich in das Erschrecken vor
aller Zerrissenheit, Sinnfremdheit und vor der undeutbaren Zerstörung.
Zweitens komme ich dadurch, dass ich alle Wege der Erkennbarkeit gehe, durch
Wissen zu jener Erfahrung des eigentlichen Nichtwissens, das mir indirekt das Eine als
die Transcendenz zur Gegenwart bringt. Sie wird der heimliche Führer all meines Wis-
senwollens. Durch sie erst ist es beseelt und sinnvoll.
Dieser Sinn ist selbst nicht mehr rational zu bestimmen. Er kann nicht etwa als ge-
wusster zum Ausgang dienen für eine errechnende Wahl von Aufgabe und Weg der
Wissenschaft. Nur in der Wissenschaft, sich ihr anvertrauend, kann der Mensch den
Grund erfahren, aus dem sie kommt, und worauf sie geht.
Frage ich mich, worauf all das Wissen hinaus soll, so kann ich in Gleichnissen ant-
worten: Es ist, als ob die Welt erkannt werden wolle - oder als ob es zur Verherrlichung
Gottes in der Welt gehöre, dass wir sie mit allen uns gegebenen Organen erkennen,
dass wir in ihr gleichsam nachdenken die Gedanken Gottes, wenn wir auch nie diese
selbst, sondern nur die Vordergründe ihrer Erscheinung im Abbild erfassen.
Welche Führung die Wissenschaft aus der Vernunft im ursprünglichen Wissenwol-
len - durch die Forderung der Welt und im Transcendieren über sie - hat, das also ent-
scheidet über ihren Sinn und Wert. Wenn Philosophie das Denken ist, das diese Füh-
rung erhellt, so kann doch auch sie nicht durch Befehl leisten, was im Ursprung des
wissenwollenden Menschen eigenständig wach werden muss.
Aus allem ergibt sich: Wissenschaft ist nicht der feste Boden, auf dem ich ausruhe,
sondern sie ist der Weg, den ich gehe, um in Gestalt der Unruhe (dieser meinem Zeit-
dasein zugehörigen Bewegung des Wissenwollens) mich zu vergewissern der Transcen-
denz, die schon im Wissenwollen mich führt.
Ist dieses klar geworden, so verstehen wir viele Erfahrungen der Unbefriedigung
am Wissen dadurch, dass wir der innerlichen Führung entglitten sind. Wir spüren es,
wenn wir uns aus Neugier der blossen Mannigfaltigkeit als solcher überlassen, oder
wenn uns Wissenschaft blosse Beschäftigung wird. Wir horchen immer wieder auf die

a realen im Ms. hs. Vdg. für wirklichen
b Realität im Ms. hs. Vdg. für Wirklichkeit
 
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