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Grundsätze des Philosophierens
es nicht unbegründete Behauptungen und vermeintliche Beweise vorbringt, und zwar
tut sie das zum Gedeihen sowohl der reinen Wissenschaft wie der Philosophie selber.
Wissenschaft bedarf der Führung durch Philosophie, aber nicht in der Gestalt, dass
Philosophie in ihr angewendet würde, oder dass von der Philosophie die rechten An-
weisungen kämen (das beides würde vielmehr die abzuwehrende schlechte Vermi-
schung sein). Vielmehr ist Philosophie wirksam in den Antrieben des ursprünglichen
Wissenwollens, in den Ideen, welche hellsichtig machen und zur Wahl der Gegen-
stände führen, in der Betroffenheit durch die Seinsbedeutung der Erkenntnisse. Phi-
losophie steckt in den Wissenschaften selber als der Gehalt, der dem methodischen
wissenschaftlichen Verfahren, das doch durch ihn geführt ist, im ausdrücklichen Be-
wusstsein entgeht. Gehaltvolle Wissenschaften sind gleichsam concrete Philosophie.
Wenn in den Wissenschaften in diesem Sinne ein Selbstbewusstsein des eigenen Tuns
hell wird, so ist dieses Selbstbewusstsein schon bewusstes Philosophieren. Die Beschäf-
tigung aber des Forschers mit philosophischen Bemühungen führt, obgleich keine An-
wendungen und unmittelbare Brauchbarkeiten in Frage kommen, zur Auflockerung
des Umgreifenden im Forscher, zum Erwerb und zur Verstärkung von Antrieben für
die Forschung, zum Seinsbewusstsein des wissenschaftlichen Tuns.
2: Die Philosophie verhält sich zur Wissenschaft: Wenn in den Wissenschaften aus
dem Drang zum Wissen im Ganzen ein Weltbild entworfen wird, in Kosmogonien und
Kosmologien die Welt in eins und vollendet ergriffen, das Wesen des Menschen er-
kannt wird, so erkennt kritische Philosophie den philosophischen Charakter dieses
Dranges, die Unwissenschaftlichkeit der Totalbehauptungen, den Sinn der in ihnen
verborgenen Möglichkeiten. Was Wissenschaft aus sich vermag, nämlich die eigenen
Grenzen zu erkennen, das steigert die Philosophie durch Ernstnehmen und Erhellen
der naiv-philosophischen und unwissenschaftlichen Bemühungen in den Wissen-
schaften.
Aber Philosophie erkennt die Wissenschaft als eine ihrer Voraussetzungen an. Zu-
gleich mit dem Bewusstsein ihres Unterschiedenseins von Wissenschaft bindet sich
daher wahre Philosophie bedingungslos an Wissenschaft. Niemals gestattet sie sich,
erkennbare Wirklichkeit zu ignorieren. Was wirklich und was zwingend erkennbar ist,
will sie grenzenlos wissen und zur Wirkung kommen lassen in der Entwicklung ihres
Seinsbewusstseins. Wer philosophiert, drängt zu den Wissenschaften und will in wis-
senschaftlichen Methoden geschult sein.136
Weil Wissenschaftlichkeit als Haltung Bedingung der Wahrhaftigkeit ist, wird Phi-
losophie zum Garanten der Wissenschaftlichkeit gegen die Wissenschaftsfeindschaft.
Sie sieht eine unerlässliche Bedingung der Menschenwürde in der Bewahrung der wis-
senschaftlichen Denkungsart. Ihr gilt Mephistos Drohung als wahr: »Verachte nur Ver-
nunft und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Kraft, ... so hab ich dich schon
unbedingt -«I37
Grundsätze des Philosophierens
es nicht unbegründete Behauptungen und vermeintliche Beweise vorbringt, und zwar
tut sie das zum Gedeihen sowohl der reinen Wissenschaft wie der Philosophie selber.
Wissenschaft bedarf der Führung durch Philosophie, aber nicht in der Gestalt, dass
Philosophie in ihr angewendet würde, oder dass von der Philosophie die rechten An-
weisungen kämen (das beides würde vielmehr die abzuwehrende schlechte Vermi-
schung sein). Vielmehr ist Philosophie wirksam in den Antrieben des ursprünglichen
Wissenwollens, in den Ideen, welche hellsichtig machen und zur Wahl der Gegen-
stände führen, in der Betroffenheit durch die Seinsbedeutung der Erkenntnisse. Phi-
losophie steckt in den Wissenschaften selber als der Gehalt, der dem methodischen
wissenschaftlichen Verfahren, das doch durch ihn geführt ist, im ausdrücklichen Be-
wusstsein entgeht. Gehaltvolle Wissenschaften sind gleichsam concrete Philosophie.
Wenn in den Wissenschaften in diesem Sinne ein Selbstbewusstsein des eigenen Tuns
hell wird, so ist dieses Selbstbewusstsein schon bewusstes Philosophieren. Die Beschäf-
tigung aber des Forschers mit philosophischen Bemühungen führt, obgleich keine An-
wendungen und unmittelbare Brauchbarkeiten in Frage kommen, zur Auflockerung
des Umgreifenden im Forscher, zum Erwerb und zur Verstärkung von Antrieben für
die Forschung, zum Seinsbewusstsein des wissenschaftlichen Tuns.
2: Die Philosophie verhält sich zur Wissenschaft: Wenn in den Wissenschaften aus
dem Drang zum Wissen im Ganzen ein Weltbild entworfen wird, in Kosmogonien und
Kosmologien die Welt in eins und vollendet ergriffen, das Wesen des Menschen er-
kannt wird, so erkennt kritische Philosophie den philosophischen Charakter dieses
Dranges, die Unwissenschaftlichkeit der Totalbehauptungen, den Sinn der in ihnen
verborgenen Möglichkeiten. Was Wissenschaft aus sich vermag, nämlich die eigenen
Grenzen zu erkennen, das steigert die Philosophie durch Ernstnehmen und Erhellen
der naiv-philosophischen und unwissenschaftlichen Bemühungen in den Wissen-
schaften.
Aber Philosophie erkennt die Wissenschaft als eine ihrer Voraussetzungen an. Zu-
gleich mit dem Bewusstsein ihres Unterschiedenseins von Wissenschaft bindet sich
daher wahre Philosophie bedingungslos an Wissenschaft. Niemals gestattet sie sich,
erkennbare Wirklichkeit zu ignorieren. Was wirklich und was zwingend erkennbar ist,
will sie grenzenlos wissen und zur Wirkung kommen lassen in der Entwicklung ihres
Seinsbewusstseins. Wer philosophiert, drängt zu den Wissenschaften und will in wis-
senschaftlichen Methoden geschult sein.136
Weil Wissenschaftlichkeit als Haltung Bedingung der Wahrhaftigkeit ist, wird Phi-
losophie zum Garanten der Wissenschaftlichkeit gegen die Wissenschaftsfeindschaft.
Sie sieht eine unerlässliche Bedingung der Menschenwürde in der Bewahrung der wis-
senschaftlichen Denkungsart. Ihr gilt Mephistos Drohung als wahr: »Verachte nur Ver-
nunft und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Kraft, ... so hab ich dich schon
unbedingt -«I37