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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0188
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Grundsätze des Philosophierens

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fälschliche Ontologie, sondern nur eine jeweilige Erhellung unseres Grundwissens. So
gilt nicht mehr ein Weltbild, sondern nur noch ein Kosmos der Wissenschaften in ih-
rer Systematik und gegenseitigen Bezogenheit, gilt nicht mehr die Seinsordnung einer
Ontologie, sondern nur noch eine Kategorien- und Methodenlehre.
In dieser geistigen Situation entsteht ein Bruch zwischen dem allgemein verbreite-
ten, populären Scheinwissen in Weltbildern, an dem auch mancher Forscher teilhat,
und dem durchleuchteten kritischen Seinsbewusstsein.
Wenn die Unruhe echten, aber sich verirrenden Suchens [,] verbunden mit der Sen-
sationslust der Öffentlichkeit[,] aus neuen[,] an sich grossartigen Entdeckungen, For-
schungsmethoden, Hypothesen eine Revolution des Weltbildes macht, so ist damit
das Problem von vornherein auf eine falsche Ebene geschoben. Was aus einem neuen
Wissen in der Öffentlichkeit wird, ist selber keine Frage der Wissenschaft und der Phi-
losophie, sondern eine psychologische und sociologische Frage. Das faktische allge-
meine Weltbild einer Zeit, übermächtig durch das fast allen selbstverständliche Dar-
anglauben, dieser Strom verschleiernden Scheinwissens, in dem die Menschheit durch
die Zeit fährt, kann auch durch wissenschaftliche Erkenntnis umgelenkt werden. So
geschah es durch Kopernikus; so ist es offenbar nicht geschehen durch Relativitäts-
theorie und Quantenphysik, obgleich letztere für die wissenschaftliche Erkenntnis
vielleicht tiefgreifender und folgenreicher sind als Kopernikus. Das moderne Weltbild
ist vielmehr bestimmt durch die Erfolge der Technik, entfaltet sich unter Entleerung
der Transcendenz in einer zerstreuten Vielfachheit von dogmatisch gewussten Ergeb-
nissen der Wissenschaften, durchsetzt mit Scheinwissenschaften von Scheinrätseln
(Astrologie, Anthroposophie usw.). Wie das allgemein verbreitete Weltbild sich in der
Zeitfolge verwandelt, ist wohl historisch zu beschreiben, aber schwer zu erklären. Nach
Jahrhunderten des »Hexenwahns« hörte dieser fast plötzlich, langsam nur in einigen
lokalen Nachzüglern, auf, andere »Wahnbilder« folgten und werden folgen. Das wis-
senschaftliche Wissen ist nur eine unter anderen Quellen für den Stoff solcher wirk-
samen Weltbilder.
Das Weltbild als das eine und wahre wäre das Correlat zum Bewusstsein überhaupt,
das alles, was ihm zugänglich ist, zwingend und allgemeingiltig erkennt. Aber diese
Allgemeingiltigkeit liegt nur in den Denk- und Anschauungsformen des Bewusstseins
überhaupt; die materielle Erfüllung muss gegeben werden in den anderen Weisen des
Umgreifenden, in denen eine Mannigfaltigkeit von Subjektivitäten auftritt. In der Tat
entspricht dem Bewusstsein überhaupt nicht ein eines geschlossenes Weltganzes, son-
dern eine ständig sich erweiternde, apriori unübersehbare Vielfachheit des Wissbaren
in der Welt.
2. Das Subjekt als Meditationsstufe: In der mystischen Versenkung - im Abendland
und in Indien - werden Verwandlungen des Bewusstseinszustandes erlebt. In der gleich-
nishaften, grundsätzlich unmöglichen Beschreibung, welche die Mystiker in dem uns
 
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