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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0195
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Grundsätze des Philosophierens

der bewussten Bedeutungen; einem Bereich dieser Bedeutungen entspringt das magi-
sche Handeln; einem anderen Bereich erwächst auf Grund der natürlich-instinktiven
»Physik« des animalisch lebendigen Verhaltens eine entwickelte Mechanik mit Werk-
zeugen; der Mensch gewinnt eine Nutzung von Kräften, die über die physische Wir-
kung menschlicher Motorik weit hinausgehen, so anfänglich durch Arbeit der Tiere
und durch Feuer; ihm gelingt ein Umgehen mit der Welt des Lebendigen und der Land-
schaft durch Pflege, Züchtung, Gestaltung in der Hingabe an die Eigenheit des Natur-
lebens, das Hervorbringen einer Kunst im Natürlichen.
In dieser Praxis bleiben zwei Stufen. Auf der einen ist der Mensch mit seinem eige-
nen Leibe und dessen Geschicklichkeit in seiner Umwelt wirksam durch eine »natür-
liche Physik«, die er durch Klugheit und List im Umgang mit dem Leblosen und dem
Lebendigen entwickelt; aus anfänglichem Bewusstsein wird es ein unbewusstes Kön-
nen; und die Erfahrung im Gelingen und Misslingen zeigt ihm, was die Natur, um ihn
und in ihm selber, ist. Auf der zweiten Stufe steht im Vordergrund ein Wissen, das ohne
specifische leibliche Geschicklichkeiten (wenn diese auch nie völlig entbehrlich wer-
den) vermöge des Umgangs mit technischen Mitteln die Umwelt durch Veranstaltun-
gen, Schaltungen, Auslösungen nach Absicht lenkt.
Der grösste Schritt, den der Umgang des Menschen mit der Natur vollzieht, ist die-
ser Schritt zur Technik; d.h. zur planmässigen Beherrschung der Natur für die Zwecke
des Menschen durch Wissen von ihren Gesetzen: zwischen Absicht und Zweck werden
die Maschinen gesetzt, die in immer weiterem Umfang die sie bedienenden Menschen
zwingen, selber zu Gliedern dieser maschinellen Beherrschung, zu einer besonderen Art
von Maschinenteilen, zu werden. Technik erweitert die menschlichen Möglichkeiten
anscheinend ins Grenzenlose, aber droht sie zugleich in Fesseln zu legen. Denn sie ver-
führt zur Vernachlässigung des natürlichen Umgangs mit der Welt in Pflege, Wechsel-
wirkung der Seelen, Gestaltung und Erziehung; wenn diese Vernachlässigung zum Ver-
lust führt, so wird am Ende die Bodenlosigkeit jeder Technik spürbar, die sich auf sich
selber stellt. Diese Technik wird im blossen Weiterentwickeln zu beliebigen Zwecken als
ein Verhängnis3 des Rationalen erfahren, demb der Mensch - wenigstens eine Weile -
wehrlos preisgegeben zu sein scheint. Der primitiven technischen Begeisterung folgt
dann einerseits wütende Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, andererseits Beruhigung
in einem verharmlosenden Fortschrittsglauben. Es ist ein ungeheures Problem.
bb. Das theoretische Wissen von der Natur:
In der Technik zeigt sich die Natur durch ihren Dienst für uns. Damit ist sie bezwun-
gen, aber auch verengt, weil ihrer Natürlichkeit beraubt. Die Natur ist mehr, als in der
Technik von ihr zu Tage kommt. Umfassend bleibt sie gegenwärtig der contemplati-

a ein Verhängnis im Ms. hs. Vdg. für eine Dämonie
b dem im Ms. hs. Vdg. für der
 
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