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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0199
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Grundsätze des Philosophierens

2. Der Pluralismus des Naturseins: Die Kontinuität der Natur ist keine gleichmäs-
sige. In der Kontinuität liegt eine Vielfachheit des Diskreten. Man spricht von einer
körnigen, atomaren, monadischen Weltstruktur.149 Das gilt im Anorganischen, im Or-
ganischen und im Menschendasein.
Im Leblosen ist der letzte Träger des Geschehens auffassbar als Continuum (Feld)
und als Unstetigkeit des Seins (Massenpunkte oder Wellenpakete) und Geschehens
(Wirkungsquanten). Wir hören materiell von Elektronen, Neutronen usw. als letzten
diskreten Wirklichkeiten, dann von den aus ihnen aufgebauten 92 Elementen, diesen
Atomen, aus denen die etwa eine Million der uns bekannten Moleküle (der Stoffe) auf-
gebaut sind. Wir hören morphologisch von den Kristallen und hören von den Welt-
körpern, die diskret im Kosmos verteilt sind.
Im Lebendigen ist alles Organismus, jeweils eine aktive Subjektivität in ihrer Welt,
ein Ganzes, Einheitliches, aus einem Centrum sich Gestaltendes und Wirkendes.
Der Mensch ist Natur und als solche in der Vielfachheit seines leiblichen Daseins
als Subjekt in seiner biologischen Umwelt, dazu aber in der Vielfachheit des Ich, wo-
mit er den Pluralismus der Natur überschreitet.
3. Die Ganzheiten: Alles Natursein ist in Ganzheiten geordnet. Diese Ganzheiten
sind immer besondere, jeweils specifische. Es gibt für die Erkenntnis nicht die Ganz-
heit des Seienden, nicht die Ganzheit der Natur, nicht die Ganzheit eines Lebens, son-
dern alle Ganzheiten sind als für die Erkenntnis fassliche im Sein, in der Welt, im Le-
ben. So sind schon die Elemente eine Weise von Ganzheiten, das Sonnensystem, die
physikalischen Felder, die morphologischen Gestalten des Lebens, die physiologi-
schen und psychologischen Funktionsganzheiten, die Landschaften usw.
4. Die Stufenfolge des Seienden: Die letzten, pluralistisch zu denkenden Elemente
und die Ganzheiten lagen auf verschiedenen Stufen, die die Stufen des Seienden heis-
sen. Diese Stufen liegen innerhalb der Natur und setzten sich über die Natur hinaus
fort. Sie heissen das Leblose, das Leben, die Seele, der Geist. Aber innerhalb dieser gros-
sen Hauptstufen gibt es wiederum Stufen, und zwischen ihnen Mittelglieder. Immer
ist es ein Rätsel, wie das jeweils Neue der nächsten Stufe plötzlich, im Sprung, da ist.
Es ist nicht durch Übergänge als continuierliche Entwicklung eines an sich gleichen
zu begreifen. Die Kontinuitäten, die hindurchgehen, machen grade das Neue nicht
fasslich, obgleich sie es tragen. So ist es schon mit der Entstehung der Qualitäten im
Leblosen. Wie aus den Urteilchen der Materie die Elemente mit ihren zahllosen beson-
deren Eigenschaften entspringen[,] ist gerade angesichts der theoretischen Ableitung
das bleibend Erstaunliche, und wie dann die Qualitäten der Moleküle der zahllosen
Stoffe entstehen, erscheint vollends jedesmal wie ein unter Regeln stehender Schöp-
fungsakt. Weiter gestaltet sich das organische Leben wiederum in einer Fülle von Stu-
fen der Organisation, als ob eine unendliche Phantasie der Gestaltung sich in den man-
nigfachsten [,] nicht in einer einzigen Stufenfolge liegenden Richtungen verwirkliche.
 
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