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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0232
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Grundsätze des Philosophierens

229

Schliesslich betrachten wir die Weise der je gegenwärtigen Gestaltung des Geschichts-
bildes (6).
1. Das Grundgeschehen in der Naturgegebenheit: Die Gegebenheiten von Land-
schaft, Klima, geographischer Lage, die biologischen Grundlagen im Menschen und
seiner Artung, die nutzbaren Materialien in ihrer Greifbarkeit bedeuten Causalfakto-
ren, von denen der Gang der Geschichte entscheidend bestimmt wird.
Jedoch haben die Causalfaktoren ihre Bestimmung erst durch das, was Menschen dar-
aus machen. Englische Geschichte und Politik z.B. sind abhängig von der Insellage un-
mittelbar vor den Küsten Europas. Aber erst in neueren Jahrhunderten hat das englische
Volk diese Lage genutzt. Griechische Geschichte ist bedingt durch die landschaftliche
Zerrissenheit, die zerklüftete Küstenlinie, die Meer- und Insellage. Aber nur ein Jahrtau-
send lang hat diese Lage wesentliche Bedeutung durch die Griechen gehabt. - Germanen
des Nordens und Mitteleuropas sind ähnlicher Rasse wie die Griechen. Aber während die
Germanen geistig schliefen, legten Griechen den geistigen Grund unseres Lebens, wur-
den unsere Ahnen, während jene nur Ahnen unseres Blutes sind. - Kohle und Eisen la-
gen endlose Zeiten bereit, bevor der Mensch begriff, wie er sie verwenden konnte. Dann
aber geschah durch die Folgen der Ausnutzung ein Neues: Die natürlichen Wirkungen
wurden im Ganzen nicht vorhergesehen. Die Organisation der Arbeit, um das Gegebene
zu nutzen, verwandelte das menschliche Dasein bis in den Grund. Die Welt wurde für
den Menschen verwandelt. - Die Erkenntnis der bestimmbaren Causalfaktoren der Na-
tur in der Geschichte ist begrenzt, beschränkt sich oft auf Selbstverständlichkeiten oder
verliert sich in Möglichkeiten. Aber sie trifft auf Grundlagen allen Menschseins in der Na-
tur, von der es restlos abhängig ist. Wie sich auch die Situation des Menschen in der Na-
tur, seine Arbeitssituation, seine gesellschaftliche Situation verwandeln, die Natur bleibt
ständig in ihnen als eine jeweils zwingende Bedingung und Grenze all seines Tuns.
Wie die Gegebenheiten geworden sind, muss rein naturwissenschaftlich erkannt
werden. So etwa, wie durch natürliche Züchtung in langen vorgeschichtlichen Zeiten
die menschlichen Artungen entstanden sind (welche doch erst als Material einer ge-
schichtlich erscheinenden geistigen Freiheit ihre Möglichkeiten entwickeln); oder wie
durch Krankheiten Ausrottungen erfolgen und wie bestimmte Artungen des Mensch-
seins überleben (wobei der Mensch durch erworbene Erkenntnisse der Notwendigkei-
ten der Natur in Grenzen Herr zu werden vermag); oder wie durch das Erdgeschehen
die geographischen Bedingungen entstanden sind (die durch die jeweiligen Fähigkei-
ten der menschlichen Technik und des Verkehrs ihren Sinn verändern); oder welche
Eigenschaften die Stoffe und Kräfte, die Pflanzen und Tiere haben, die der Mensch
nutzbar macht.
Was aber aus dem begründenden Naturgeschehen durch den Menschen wird, das ist
nie aus der Natur allein begreiflich. Nur negativ ist zu erkennen, wie der Mensch total
zerstört werden kann. Positiv aber ist das aus der Natur in ihm und äusser ihm Hervor-
 
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