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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0250
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Grundsätze des Philosophierens

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Zweitens brachten die modernen exakten Naturwissenschaften Kenntnisse und
Möglichkeiten, die der antiken Mechanik völlig fremd waren. Vor allem ist die Ent-
wicklung der Elektricitätslehre und der Chemie eine unerlässliche Voraussetzung der
neuen technischen Wirklichkeiten. Das zunächst Unsichtbare, erst der Forschung sich
Zeigende, brachte in des Menschen Hand jene fast grenzenlosen Energien, mit denen
heute auf dem Planeten operiert wird.
Drittens brachte die moderne gesellschaftliche Freiheit - die keine Sklaven kannte
und den freien Wettbewerb auf eigenes Risiko zuliess - wagemutigen Unternehmern
die Möglichkeit, das Unwahrscheinliche und den Meisten als unmöglich Erscheinende
zu versuchen. So entstand im Abendland die technisch-wirtschaftliche Schlacht der
Unternehmer des 19. Jahrhunderts, in der das alte Handwerk bis auf unentbehrliche
Reste unterging und jeder, der technisch Nutzloses tat, erbarmungslos vernichtet
wurde. Auch die besten Gedanken konnten zunächst scheitern. Auf der anderen Seite
gelangen märchenhafte Erfolge. Dazu diente eine Arbeitsorganisation mit freien Ar-
beitskräften, welche, zu jeder erforderlichen Arbeitsleistung auf dem »Arbeitsmarkt«
erhältlich, bei festgesetztem Vertragslohn in der Calculation einen voraussehbaren Ko-
stenanteil des Unternehmens darstellten.
In der modernen technischen Welt hängen unlösbar zusammen: die Naturwissen-
schaft, der Erfindungsgeist, die Arbeitsorganisation. Diese drei Faktoren haben die Ra-
tionalität gemeinsam. Keiner von ihnen könnte allein die moderne Technik verwirk-
lichen. Jeder dieser drei hat einen eigenen Ursprung, ist daher Quelle von Problemen,
die unabhängig ihren eigenen Weg gehen.
Die Naturwissenschaft bringt ihre Welt ohne Hinblick auf Technik hervor. Es gibt aus-
serordentliche naturwissenschaftliche Entdeckungen, die, wenigstens zunächst und viele
vielleicht für immer, technisch gleichgiltig bleiben. Auch die an sich technisch brauchba-
ren wissenschaftlichen Entdeckungen sind keineswegs ohne weiteres anwendbar. Sie be-
dürfen des technischen Einfalls, um nützlich zu werden. Erst Morse machte den Telegra-
phen.195 Es gibt kein voraussehbares Verhältnis zwischen Wissenschaft und Technik.
Der Erfindungsgeist kann auch ohne die specifisch moderne Wissenschaft Ausser-
ordentliches leisten. Was die primitiven Völker geschaffen haben - z.B. den Bume-
rang -[,] ist erstaunlich, die Erfindungen in China sind zahlreich (z.B. Porzellan, Lack,
Seide, Buchdruck und Papier). Ebenso erstaunlich ist das gleichzeitige Verharren in
mühseligen, traditionellen Arbeitsweisen, wo die einfachsten für uns naheliegendsten
mechanischen Erfindungen helfen könnten. Es ist[,] als ob eine normale Gedanken-
losigkeit die Menschen festhielte am Unzweckmässigen, während entgegen diesem tra-
ditionellen Gebundensein seit 1V2 Jahrhunderten in allen Gebieten eine Unmenge Er-
findungen gemacht worden sind, die im Rahmen des längst Möglichen liegen und gar
keine moderne Wissenschaft brauchten: z.B. die Heizöfen, Dauerbrenner, Central-
heizungen, das Küchengeschirr und fast alle Haushaltsgegenstände, medicinische Ap-
 
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