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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0278
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Grundsätze des Philosophierens

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Aber Selbstbehauptung wird zur Selbstpreisgabe des Menschen, wenn sie zur Selbst-
behauptung um jeden Preis führt. Wer unter jeder Bedingung das Leben vorzieht, ver-
liert den möglichen Sinn des Lebens.
cc. Kämpfen: Kämpfen bedeutet ein Negieren. Es muss etwas vernichtet oder doch
beschränkt werden, damit der Kämpfende sein Dasein behauptet und erweitert. Die-
ses Negieren ist im Dasein unumgänglich. Man kann es sich verschleiern, aber nicht
vermeiden.
Kampf erwächst in der Zeit aus der Tiefe der Notwendigkeit. Nur in Gegensätzen
treibt sich das Wahre hervor, wird das Eigentliche wirklich. Im Raume stossen sich die
Daseinsansprüche. In der Welt trifft Glaube auf anderen Glauben. In jedem Menschen
streiten sich Antriebe, Zwecke, Ideen. Der Kampf kann dialektischer Aufbau von Kräf-
ten in ihrer Spannung, kann liebender Kampf in der Communication um Selbstsein
mit anderem Selbstsein, kann in übergreifender Verbundenheit ritterlicher Kampf um
Schicksalsentscheidung im Dasein, kann in restloser Entfremdung brutaler Kampf mit
allen Mitteln um das Dasein als solches sein. Kampf ist nur, wo Gegner gleiche Chan-
cen haben, Anwendung von Übermacht ist nicht Kampf, sondern Vergewaltigung.
Es gibt keine Verwirklichung ohne irgendeine Weise des Kämpfens. Daher verlangt
die Einsenkung in das Geschehen den Kampf. Dieser Kampf kann in der Realität man-
nigfache Wege einschlagen; er kann nicht nur direkt, sondern auch indirekt sein; er
ist von den Mitteln abhängig, die in der jeweiligen geistigen Entfaltung, in den tech-
nischen Möglichkeiten und in der sociologisch-politischen Situation und Zuständ-
lichkeit gegeben sind. Immer gehört es zur Redlichkeit und zum Mute der Existenz,
den Kampf auf sich zu nehmen.
Aber der Kampf kann eine radikale Verkehrung erfahren, wenn er zur Selbstgenüg-
samkeit des Kämpfens wird. Statt dass das unumgängliche Negieren blosse Folge posi-
tiven Aufbauens ist, ein Mitvollzogenes, das nicht an sich selbst wesentlich ist, kann
der Kampf an sich selbst gerade das Wesentliche werden: man lebt aus dem Negieren
als solchem, während das Positive blosse Fiktion als pathetischer Entwurf bleibt, in der
Tat aber nichts als leeres Dasein ist.
Einsenkung in das Geschehen sahen wir als Sichverwandeln in der Selbstbehauptung
durch Kampf. Diese drei Weisen sind geschichtliche Erscheinung des Menschen. In der
Geschichtlichkeit weiss sich jedoch der Einzelne zugleich ungeschichtlich herausgenom-
men, wenn er in der Transcendenz zu Hause ist. Diese transcendente Bindung und Ge-
borgenheit aber ist nur wahr, wenn sie in gesteigerter geschichtlicher Einsenkung sich
auswirkt. Nicht unter Umgehung der Welt, sondern durch die Welt hindurch ist der Weg
zur Transcendenz in der Zeit zu finden. Dass aber Transcendenz ist, hat zur Folge, dass
kein Endliches, dass kein Weltsein als solches absolut sein kann, auch nicht, wenn im un-
bedingten Handeln das Leben für es und in ihm eingesetzt wird: nicht das Endliche ist
das Absolute, sondern was im Einsatz für das Endliche als das Ewige in der Zeit erscheint.
 
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