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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0304
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Grundsätze des Philosophierens

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dig begreiflich machen. Gerade dann aber sind sie nicht mehr Totalbilder, sondern ide-
altypische Konstruktionen für besondere historische Gegenstände. - Der Fortschritt als
objektives Geschehen erweist sich als real inbezug auf das Rationale, Technische, in dem,
was von Mensch zu Mensch und Volk zu Volk identisch übertragbar ist, - diese Realität
des Fortschritts ist aber keine uneingeschränkte, ist unterbrochen durch Verfall und Ver-
gessen, zeitweilig gesteigert und überstürzt, oder stagnierend in unmerklicher Bewe-
gung. Unwahr ist die Fortschrittsbehauptung inbezug auf die eigentlichen Kulturgüter
(auf Schöpfertum, Geist, Ethos). Der Fortschrittsglaube als beflügelnder Glaube eines hi-
storischen Totalbewusstseins ist ein täuschender Ersatz für Transcendenz. - Die unbe-
stimmte Vorstellung eines endlosen Stroms des Geschehens aus dem Unabsehbaren ins
Unabsehbare, in dem von Zeit zu Zeit unvoraussehbar und unbegreiflich ein Glücksfall
des Gelingens vorkommt, ist am wenigsten täuschend. Denn sie behauptet keine reale
Totalität. Aber auch sie wird sogleich täuschend, wenn sie in ihrer Leere sich verabsolu-
tiert, statt von dem Umgreifenden ungegenständlich erfüllt zu werden. Dann ermuntert
sie zum Aufbau des jeweils Ganzen des dem Menschen Zugänglichen in einer umfassen-
den Ordnung, ohne diese für etwas anderes als die wahre, geschichtlich gegenwärtige
Ordnung zu halten. Das Umgreifende ist das, worauf hin wir handeln im Ergreifen der je-
weils gegenwärtigen Ordnung als der Erscheinung des Umgreifenden, und auf das hin
wir forschen, wenn wir Geschichte und Welt betrachten in den Schematen totaler Auf-
fassung, die sich gegenseitig in Schranken halten.
bb. Analytische Forschung und bildhafter Glaube
Totalbilder sind entweder als Schemata ein Mittel für bestimmte Erkenntnisse, dann
vielfach und für jeweilige Zwecke begrenzt brauchbar, an sich ohne umfassende Wahr-
heit, ständig auch anders zu versuchen, im Grunde also partikulare Kunstgriffe der Er-
kenntnis. Oder sie sind Träger eines Glaubens, der im Bild des Ganzen den Kern des
Geschehens und seinen eigenen Sinn im Tun erfährt.
Daher wenden sich Behauptungen vom Ganzen an verschiedene Kräfte in uns und
haben dementsprechend einen heterogenen Sinn. Entweder dienen sie einem For-
schen, wenden sich an allgemeine Erkenntniskräfte, suchen eine allgemeingiltige Ein-
sicht, sind notwendig nur auf dem Wege, bei etwas, das sich stets wieder als ein Beson-
deres erweist, nicht als das Ganze bestehen bleibt. Sie sind eine Methode, von
vornherein relativierbar, Gegenstand der Prüfung und kritischen Handhabung.
Oder sie dienen einem Glauben, wenden sich an Gefühle als Erscheinung der sich
selbst noch nicht verstehenden Gehalte, die diese Bilder zum Selbstbewusstsein brin-
gen sollen. Das Leben der Ideen und der Existenz bringt sich im Widerschein objekti-
vierter Bilder zum Bewusstsein und damit zur Steigerung. Die Bilder bringen eine Er-
hellung und schliesslich eine Rationalisierung des Glaubens. Sie sind hörbar in der
Erfüllung durch Existenz, schliessen sich ab und werden absolut.
 
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