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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0319
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Grundsätze des Philosophierens

zu ergreifen, ist für den Einzelnen der einzige Weg im endlichen Dasein. Das kann ge-
schehen im heftigen Widerstand gegen die realen gegenwärtigen Erscheinungen des
eigenen Volkes, in der Rückkehr zu verschütteten Möglichkeiten oder in glücklicher
Coincidenz mit gelingender Verwirklichung im Ganzen. Aber die Umgehung des ei-
genen Volkes zugunsten eines gedachten abstrakten Menschseins oder durch vergeb-
liche Vertauschung mit der Zugehörigkeit zu einem anderen Volk führt jeden, der
nicht an Macht seines Wesens an der Grenze des Übermenschen steht - und damit fak-
tisch gegen sein Wissen und Wollen noch immer ein Gipfel des Volkes seiner Herkunft
wäre -[,] in die Nichtigkeit. Was aber das eigene Volk sei, das ist nie objektiv entschie-
den, sondern immer noch Aufgabe. Es ist Sache des Entschlusses zahlloser Einzelner,
wozu ein Volk wird. Wer es ernst mit seinem Volke meint, muss durch sich selbst zei-
gen, was es sein kann[,] und vorangehen. Auch ist ein Volk nicht objektiv zu bestim-
men, weder politisch durch Staatsangehörigkeit, noch durch Rasse, noch durch ge-
meinsame Schicksale, eher noch durch Sprache, durch den allverbindenden
geschichtlichen Geist einer kulturellen Überlieferung. Das Volk ist die Tiefe geschicht-
licher Herkunft im Ganzen, die sich jeweils im Entschluss zu einer geistig-seelischen
Zukunft in concreten, aber sich verwandelnden Bildern zeigt. Es ist die Tiefe, die, wenn
sie ergründet wird, mit dem Ursprung des Menschseins selber in Fühlung [kommt] und
damit in brüderlichen Zusammenhang mit allen Völkern führt. Die Idee der Weltord-
nung gibt jedem Einzelnen und den Völkern Raum, um in der Mannigfaltigkeit der Er-
scheinung das eine Menschsein zu verwirklichen, das nirgends im abstrakten Bewusst-
sein überhaupt, nicht in der Vertretbarkeit und Ersetzbarkeit aller liegt, sondern in der
Entschiedenheit der je geschichtlich eigenen Existenz.
3. Die abstrakte Idee der Weltordnung: Die Idee des Weltreichs, die ihr Ziel hat in der
lebendigen Einheit aller, gewinnt Boden in der Erinnerung an den unvordenklichen ge-
schichtlichen Grund. Wir Menschen treffen uns aus verschiedenen Ursprüngen unse-
rer auf dem Erdball verteilten Erscheinung nicht als schlechthin fremde Wesen, sondern
in wachsendem Verstehen, in dem alle wechselseitig ihr Menschsein im anderen erwei-
tern. Staunend nehmen die Menschen aus den fernsten Kulturen wahr, dass es ihnen al-
len zuletzt um das Gleiche geht. Denn der Sinn ihrer geistigen Hervorbringungen ist der-
art, dass alle miteinander zu tun haben in Einklang oder Abstossung, und zwar so, dass
sie in der Abstossung noch einem Gemeinsamen angehören. Es ist durch die Mannig-
faltigkeit der unmittelbar gefühlten Ursprünge hindurch ein einziger umgreifender Ur-
sprung des Menschseins, dessen die Menschen, wo immer es geschah, mit Enthusias-
mus inne wurden. Geistig ist die Totalität der Menschheit zuerst, aber nur verstehend
und in geistiger Auseinandersetzung zu erreichen. Real ist die Einheit aller nicht unmit-
telbar zu verwirklichen, wohl aber aus der geistigen Communication dadurch zu för-
dern, dass alle politischen Handlungen, die zunächst auf nähere Ziele gehen, immer
mehr zugleich unter den Massstab dieses Endziels gestellt werden.
 
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