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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0321
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3i8

Grundsätze des Philosophierens

an den Einrichtungen und der Gesetzgebung. Sie bedeutet dann weiter die Verfassung
des Ganzen, in dem die einzelnen Menschen das Feld ihrer Eigenmacht für die Zwecke
ihrer besonderen Verwirklichungen haben. Sie ist der Raum, der das Menschwerden in
allen seinen Möglichkeiten freigibt unter der Bedingung, dass die Freiheit des Men-
schen mit der Freiheit eines jeden anderen zusammen bestehen kann. Dazu bedarf es
des Zustandes der Sicherheit und dieser als gegründet auf Gesetzlichkeit.
Diese Freiheit beschränkt die Willkür des Einzelnen auf bestimmte staatsfreie Be-
zirke. Und hier ist der Einzelne für die Folgen seines Tuns in dem Sinne verantwortlich,
als ihm beim Versagen vom Staat nicht geholfen wird. Sinn der Freiheit ist die Willkür
des Einzelnen nur sofern diese den Notwendigkeiten der Sache gehorcht, sich bindet
an Aufgabe, Beruf, Idee, Ordnungen. Politische Freiheit will Raum schaffen für geistige
und existentielle Freiheit, nicht für Willkür. Wo jene eigentliche Freiheit preisgegeben
wird, da ist die politische Freiheit sinnlos und wird faktisch verloren.
Politische Freiheit, die Bestand hat, ist nie nur ein Freisein von etwas, sondern im-
mer ein Freisein zu etwas. Dies wofür ist das Menschsein, die Idee, die Existenz. Wo die
politische Freiheit in Despotie oder Anarchie verloren gegangen ist, da löst sich exi-
stentielle Freiheit vom Staat, wo sie da ist, da wird Teilnahme am Staat und Verantwort-
lichkeit für die staatliche Existenz ein Moment der Existenz jedes Einzelnen. Aber die
Existenz geht nicht im Staate auf, wie in der griechischen Polis, sondern der Staat ist
in der Idee der Weltordnung ein Feld ihrer Betätigung mit bewusster Grenzsetzung.
Zweitens: Weil der Mensch auf den Menschen angewiesen ist, gibt es Freiheit nur
in Gemeinschaft. Freiheit ist nur vollendbar, wenn alle frei sind.
Freiheit fordert in allen allgemeinen Angelegenheiten Verzicht auf Willkür des Ein-
zelnen. Die Vereinigung der Gemeinschaft fordert eine Spitze der Macht, durch wel-
che der Wille des Ganzen gefunden und vollzogen wird. Der Weg dieser Willensbil-
dung muss über die Verständigung aller gehen.
Die Weltordnung fordert daher als ihr Eebenselement die Communication. Zuletzt
gegründet in der Communication zwischen Einzelnen, vollzieht sie sich öffentlich
zwischen Vielen im Aufeinanderhören, in der Klarheit und Wahrhaftigkeit, im Maass-
halten und Verzichtenkönnen, in der Bereitschaft, selbst für unrichtig Gehaltenes zu-
nächst zuzulassen (wenn es des Charakters der Unbedingtheit entbehrt und nicht böse
ist), indem man die eigene Opposition offen begründet und sachlich aufrecht erhält.
Einigung als solche gilt mehr als die blosse Consequenz von Grundsätzen und Doktri-
nen. Wir können nicht frei werden, wenn wir uns nicht vertragen. Die Ordnung der
Gemeinschaft regelt die Wege der Communication, durch die der Gang der Bildung
des Willens bestimmt wird.
Drittens: Die Weltordnung, die in Bewegung gehalten wird durch die aus je gegen-
wärtigem heben kommende Communication, soll Einrichtungen schaffen, die gerecht
sind. Gerechtigkeit verwirklicht der Zustand, in dem jedem das Seine zukommt. Da
 
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