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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0325
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322

Grundsätze des Philosophierens

um die vorhandenen Mittel, die Rohstoffe und die jeweils neuen technischen Erfindun-
gen möglichst nutzbringend nach überschauenden Gesamtplanungen einzusetzen, und
um die Zusammenarbeit aller ohne Vergeudung an Rohstoff und Arbeitskraft zu gewähr-
leisten. Die technische Grossorganisation ist das Verhängnis des Zeitalters. Man kann
sie unterbrechen, für Teilbereiche suspendieren, im Ganzen nicht verhindern.
Nun aber ist für die Klarheit politischen Wollens radikal zu unterscheiden die Not-
wendigkeit der Grossorganisation, die sich vom technisch-wirtschaftlichen her auf das
gesamte menschliche Dasein ausbreitet, und die Mächte, die sich dieser Organisation
bedienen, ihr Aufgaben stellen, sie mit ihrem Geist durchdringen. Technik und Orga-
nisation sind an sich geistig und politisch neutral. Sie sind zu Gutem und Bösem bereit.
Es ist daher zu unterscheiden, welche Realitäten in der Consequenz von Technik und
Organisation als solchen liegen, und welche Ziele, Ideen, Beseelungen in ihnen statt-
finden können [,] aber nicht müssen. Es schafft Verwirrung und täuschende Argumen-
tationen, wenn beides verwechselt wird. Dann legt man in polemischer Auseinander-
setzung fälschlich einer politischen Bewegung zur Last, was der technischen gehört,
und umgekehrt der technischen, was ihr garnicht notwendig verbunden ist.
Die Entscheidung für die Gestaltung der Technik und ihrer Folgen im Ganzen un-
seres menschlichen Daseins hängt ab von dem politischen Willen, der die Herrschaft
gewinnt, und dieser Wille wieder von jedem einzelnen Menschen in seiner inneren
Haltung, Selbsterziehung, seinem Ernst und der Klarheit seiner Einsicht in die Zusam-
menhänge.
Dabei hat die technische Grossorganisation in grösstem Stil die Aufgabe gestellt, was
aus den Menschenmassen wird, wie sie teilnehmen, wie sie geführt werden. Da kein aus-
serhalb mehr, sondern der Erdball ergriffen sein wird, so müssen alle Menschen aller
Kulturen und Rassen ihren Platz finden. Da die natürlich gegebenen Gliederungen der
Stände und Ordnungen früherer Jahrtausende durch die Technik hinfällig werden, und
da die ungeheure Bewegung des Weltganzen durch den Ruin aller überlieferten Lebens-
formen - in welchem Ruin wir, noch erfüllt von der Geschichte, mitten drin stehen - zu
der neuen Weltordnung führt, so werden die Menschen einander ähnlicher in Lebens-
und Wissensformen als je zuvor, müssen sie als Massen zur Geltung kommen.
Auf den ersten Blick scheint mit der Verbreitung des menschlichen Wissens auf die
Massen ein ausserordentlicher Wissensverlust einherzugehen. Das Absinken des Be-
wusstseins bei Ausbreitung von Fertigkeiten und Kenntnissen lässt eine Primitivität
sichtbar werden, die gemessen am Kulturbewusstsein vergangener Jahrhunderte er-
schreckend ist. Man wird bald unsere grossen Dichter nicht mehr verstehen, weil man
ihre Erlebnisse und Erfahrungen nicht einmal mehr in Ansätzen hat.
Die Folge aber des verbreiteten Schulwissens - das notwendig ist, um im techni-
schen Apparat arbeiten zu können - in Verbindung mit dem alle in Berührung brin-
genden Verkehr ist, dass die Massen zur Teilnahme an der Herrschaft drängen. Die Mas-
 
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