Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0331
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
328

Grundsätze des Philosophierens

sigen Pflege der Beziehung der Menschen zu Gott. Das ist Sache der Kirchen. Da nun
die Kirchen selber weltliche Organisationen mit Machtbefugnissen in der Stufenleiter
der in ihr Herrschenden sind, so sind sie der Form nach wie die staatliche Weltordnung.
In ihrer Verfassung, ihrem Recht, ihren bürokratischen Einrichtungen finden sich die
Analogien zum Staatlichen. Hier wurzeln Gefahren, die in den Kirchen Bestrebungen
entstehen lassen, die den staatlichen analog sind: den Herrschaftswillen und den Ein-
heitswillen; Kirchen werden zu Staaten und haben die Tendenz, den Staat zu ersetzen
durch ihre Theokratie. Das ist in der katholischen Kirche besonders klar durch die Jahr-
hunderte zu verfolgen, eignet aber unklarer, bruchstückhaft und in einzelnen Excessen
(z.B. dem Genf Calvins) auch anderen Kirchen. Hier ist nun zwischen dem Sinn von
Staat und Kirche, ohne Verführung durch die Analogie, radikal zu unterscheiden.
Die Einheit einer Weltordnung in einem Weltreich3 ist sachentsprechend den Da-
seinsnotwendigkeiten, die Einheit einer allgemeinen, allumfassenden Kirche ist un-
gemäss für das Wesen der Religion. Dies ist begreiflich zu machen.
Das Weltreich13 ist schliesslich notwendig. Ohne Weltordnung und die in ihr gere-
gelte, in sich sich kontrollierende Führung in den Fragen der Daseinsordnungwürden
die Kriege ins schlechthin Vernichtende wachsen. Dieselbe Technik, welche die Zer-
störung absolut machen könnte, ermöglicht auch zum ersten Mal das Weltreich. Die
Weltordnung ist sinnvoll in der realen Stufe des Umgreifenden, das wir sind, im Dasein,
weil diese Einheit in den Daseinsgrundlagen gerade befreit und Raum schafft für alle
menschlichen Möglichkeiten [,] für die Entfaltung aller Anlagen der Menschheit, auch
der Verschiedenheit ihres Daseins, insbesondere aber ihrer Offenheit für Transcendenz,
für die Verwendung der Musse zu geistigem Hervorbringen, für das persönlich-
geschichtliche Schicksal der Einzelnen. Die einheitliche Ordnung der Daseinsbedin-
gungen entspricht der Einheit des alle Menschen umfassenden einheitlichen Bewusst-
seins überhaupt.
Die Weltkirche dagegen ist nicht notwendig. Religion lebt gerade in der Mannigfal-
tigkeit ihrer Erscheinung aus ihrem geschichtlich verschiedenen Ursprung, in Verwirk-
lichungen, die sich nicht combinieren lassen, sondern sich gegenseitig ausschliessen,
in der Unbedingtheit, die gerade nicht Anspruch an alle ist (wie es die Richtigkeitsgel-
tungen des Bewusstseins überhaupt sind). Der Anspruch, die eine alleinige Wahrheit
Gottes zu vertreten, ist eine Überheblichkeit von Menschen, die ihre faktische ge-
schichtliche Besonderheit für die notwendige Erscheinungsform allen Menschseins
halten. Die Weltkirche wird Ursprung von Falschheit, weil es keine Instanz auf Erden
geben kann, die über die Wahrheit des Glaubens als eines für alle Menschen gütigen
entscheiden kann (über den Glauben an die Kirche auf Grund des Glaubens an Chri-

a einem Weltreich im Ms. hs. Vdg. für einer Weltunion
b Das Weltreich im Ms. hs. Vdg. für Die Weltunion
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften