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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0334
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Grundsätze des Philosophierens

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dazu zwingen, in der öffentlichen Weltordnung Einrichtungen zu halten, die im Men-
schen Böses erwarten und darum verhindern sollen.
Die Reinheit der Idee der Weltordnung fordert die Bescheidung. Die Gefahr ist, dass
die Idee ihre Kraft verliert, wenn ihr in ihrer Reinheit die religiöse Grossartigkeit und
jede Heiligung abgeht. Die Möglichkeit ist aber, dass sie gerade dann durch Wahrheit
erst ihre volle Kraft erhält. Diese Kraft entstammt dann nicht ihr allein, sondern dem
Glauben, der sie zugleich rein hält und aus einem anderen tieferen Grunde trägt.
Nur glaubende Menschen vermochten dies, und zwar solche, welche unterschei-
den können und nicht einer Religion mit absolutem, ausschliesslichem Anspruch an
alle Menschen intolerant anhängen. Es ist kennzeichnend, dass der Kampf der Eng-
länder gegen den Katholicismus in früheren Jahrhunderten, anders als bei den deut-
schen Protestanten, die reinen politischen Ziele frei gab[,] aber auch den ganzen Ein-
satz des Daseins forderte, während die deutschen Protestanten nicht politisch, sondern
glaubend sich verhielten, politisch nur Religionskriege führten.
Die Aufgabe ist, dass die Idee der Weltordnung in den Menschen alldurchdringend
werde. Die reine Idee ohne alle falschen Heiligungen soll so stark, so unverwüstlich
werden, wie in früheren Zeiten der irrende Glaube an einen friedenbringenden Welt-
kaisergott, einen Weltheiland, der Gottes Reich auf Erden in ewigem Frieden gründet.
Nicht die Passivität der blossen Hoffnung wird diese Ordnung der Verwirklichung nä-
her bringen, sondern die geduldige Aktivität innerer Erziehung der Einzelnen, ständi-
ger Aufklärung über das Wissbare und Tatsächliche, klare Entscheidung in Augenblik-
ken, wo sie gefordert wird zwischen gut und böse, und philosophische Erhellung des
Glaubens, der alles trägt.
2. Einheit und Trennung von Staat und Mensch: Ist der Staat die Quelle der Daseins-
ordnung, so ist er zwar für diese in der Welt das letzte, aber für den Menschen nicht
das überhaupt letzte. Daher gelten beide Sätze: Der Mensch ist, was sein Staat ist, und:
Der Mensch setzt sich unabhängig seinem Staat gegenüber. Wird der eine dieser Sätze
allein giltig, so verliert sich der Mensch. Der Staat, statt zum Letzten in der Daseins-
ordnung zum Absoluten gemacht, wird der irdische Gott, erhält eine falsche Weihe;
er vernichtet den Menschen. Der Staat, statt in der Welt als die alles andere Dasein be-
gründende Aufgabe ergriffen zu sein, als gleichgültig oder subaltern und verächtlich
behandelt, verfällt in Anarchie und Gewaltsamkeit; dem Menschen wird sein Daseins-
raum genommen.
Zu jedem Staatstypus gehört ein Menschentypus, so lehrte Plato,242 so zeigte es im
Concreten wieder Montesquieu.243 So ist es für eine empirische Betrachtung und für eine
verstehende Konstruktion. Im Bewusstsein des seinem geschichtlich gewordenen be-
stimmten Staat angehörenden Menschen herrscht günstigen Falls ein unbefangenes
Einsgefühl oder umgekehrt eine schroffe Entgegensetzung des Einzelnen zum Staat,
wenn dieser hoffnungslos verworfen ist und dem Einzelnen nicht die Wege ethischer
 
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