Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0336
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Grundsätze des Philosophierens

333

politische Verwirklichung scheint dena Engländer die Hälfte seiner Seele gekostet zu ha-
ben. Die Folge war, dass mit der Freiheit, die politisch auch für alles private Dasein ge-
wonnen war, nicht allzuviel getan werden konnte. Wohl gab es ein eigentümliches gei-
stiges und religiöses heben, gab es die Welt der Nonkonformisten, der unbefangenen
Philosophie und auch jedes beliebigen Spleens. Aber das alles war eingewebt in einen
Grund, der die Tiefe verbirgt. Es bleibt, wenn Freiheit durch Staatsordnung ermöglicht
ist: was fängt der Mensch mit dieser Freiheit an? Er lässt solche Freiheit sich schliesslich
verkehren, wenn alle Beurteilungen politisch bedingt sind, ohne dass dies klar ist, und
wenn ein Pharisäertum die hohe politische Leistung der Ahnen als eine fortbestehende
absolute moralische Überlegenheit über alle anderen Menschen beansprucht13.
Das Verhältnis des Einzelnen zum Staat kann, solange das Umgreifende fühlbarc
bleibt, in aller Gebundenheit durch die Identificierung seiner selbst mit der staatlichen
Aufgabe doch nur in Spannung bleiben. »Den Staat lieben«, das ist nur unter glückli-
chen Umständen bei Unklarheit über die Gesamtheit der dieses Glück begründenden
Realitäten und unter Abschirmung des Blickes auf diese möglich. Wenn ein kleiner
Staat, gegründet auf einst mit Heldenmut und Besonnenheit verwirklichte politische
Zustände, in Ruhe gelassen infolge der Rivalität grosser Mächte, zwischen denen er
neutral sein Leben lebt, herausgenommen aus dem Schicksal der grossen Geschichte,
sein freies Dasein nach guten Gesetzen verwaltet und mit den besten Genüssen seines
Zeitalters geistig erfüllt, so kann ein Angehöriger, der mit historischer Erinnerung das
Kunstwerk seiner gegenwärtigen Verwaltung durchschaut, wohl seinen Staat lieben.
Wo aber der Ernst des Äussersten gegenwärtig ist, da empört sich der Mensch, dieses
Ungeheuer des Staates, an das er seine Arbeit, seine Kraft und seinen Mut wendet, auch
noch lieben zu sollen.244 Nein, der Staat ist als Voraussetzung, als das alles andere Be-
stimmende und Bezwingende, zu gestalten im Ringen der Gesinnungen und Interes-
sen miteinander, vor allem im Ringen um die Möglichkeit geordneten politischen
Kampfes; aber es ist die harte Aufgabe des Umgangs mit dem Teufel in uns. Der Staat
ist nicht ein numen, keine Heiligkeit, aber in ihm leben Ideen. Aus den Ideen politisch
zu wirken [,] lässt weder den nihilistischen Egoismus zu, noch die reale Identität des
einzelnen Menschen mit seinem Staat, sondern treibt zu der nie vollendeten Aufgabe,
die Daseinsordnung in Gemeinschaft unter Beschränkung auf die Voraussetzungen
allen Daseins zu finden.
Der Abfall von dieser Aufgabe geschieht nach mehreren Richtungen:
a) Statt Werden in Gemeinschaft bleibenden Ringens im Denken und Versuchen
erwächst der Drang zur einseitigen gewaltsamen Gestaltung und setzt sich durch. Da-

a statt den im Ms. und in der Abschrift Gertrud Jaspers dem
b beansprucht nach der Abschrift Gertrud Jaspers statt beansprucht wird im Ms.
c nach fühlbar im Ms. gestr. und hell
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften