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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0343
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Grundsätze des Philosophierens

Der Weg der Freiheit kann in der Geschichte gebahnt werden im Kampfe von Des-
potismus mit Despotismus. So wurde die Spannung des Mittelalters zwischen Staats-
absolutismus und Kirchenabsolutismus - diese einzigartige, dem Abendland zugehö-
rende Erscheinung - zur Wiege der Freiheit. Keiner von beiden wollte die Freiheit. Aber
beide konnten je nach Lage tatsächlich Träger des Freiheitswillens werden. In verwun-
derlichen Umkehrungen wurdea einmal die Kirche, einmal der Staat der Hort der Frei-
heit. Aber Freiheit kommt gegen beide aus einem anderen Princip.
Voraussetzung dieses Princips sind Glaubenshaltungen, die wir philosophisch
nannten:
1) Gott ist nicht in der Welt, sondern schlechthin transcendent. Jede Menschen-
vergötterung ist unwahr. Es gibt keinen Gottkönig, keinen Herrscherheiland, keinen
Gottmenschen und keinen Vertreter Gottes oder des Gottmenschen.
2) Die Weltordnung kann keinen Abschluss finden. Sie ist unvollendbar, nur als
Richtung und Weg wirklich. Es gibt kein heiliges Imperium. Wahr ist nur für Dasein
die relative Absolutheit der Formen und Funktionen des Staatslebens in Gesetzlichkeit
und ihrer Verwandlung. Diese bleibt beschränkt auf die Stufe des Daseins, um Raum
zu geben der Substanz des eigentlichen Menschen, seiner Offenheit für Gott in der
Mannigfaltigkeit von dessen Sprache.
3) Der Mensch muss an seine Möglichkeit in Verwandlung glauben. Der Weg zur Frei-
heit misslingt im Abfall des Menschen in die drei Stufen des Bösen (vgl. S. [38-40])248,
erstens in Triebhaftigkeit, Zerstreutheit, Willkür, zweitens in Unwahrhaftigkeit, drit-
tens in Hass und Vernichtungswillen. Auf dem Weg zum Bösen verliert er seine Frei-
heit. Wer nicht frei sein kann, muss gehorchen. Wer sich nicht frei der Führung von
Idee und Transcendenz unterwirft, der wird unterworfen einer Gewalt in der Welt.
Aus unseren Erörterungen ergibt sich, dass es in der Polarität von Gewalt und Ver-
ständigung nicht eine völlige Ausschaltung des einen Pols geben kann. In dieser Polari-
tät selber wird der Mensch zum Menschen. Als reine Gewalt wäre er Tier, als reine Ver-
ständigung Engel. Das Menschwerden geschieht, wenn der Mensch in der Innerlichkeit
die Spannung und das Maass vollzieht, von dem die äusseren Zustände das Ergebnis sind.
Der Aufschwung geht verloren, wenn die Polarität sich trennt in Bereiche reiner Gewalt
und Bereiche einer geforderten reinen Verständigung. Für die fruchtbare, den Menschen
hinauftreibende Ordnung der Polarität von Gewalt und Verständigung ist es notwen-
dig, dass in jeder Machtanwendung eine Abhängigkeit des Mächtigen von dem fühlbar
bleibt, auf den die Machtwirkung stattfindet. Alle Beziehungen der Herrschaft müssen
mit solchen der Abhängigkeit so verknüpft sein, dass in derselben Beziehung beides, von
beiden Seiten, stattfindet. Das ist die Idee im Zustand der Verständigung. Dagegen ist es

a statt wurde im Ms. und in der Abschrift Gertrud Jaspers wurden
 
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