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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0359
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Grundsätze des Philosophierens

stig gelenkt werden könne. Die Vererbungslehre schien Aussichten zu eröffnen, der
Mensch schien so wie Tiere und Pflanzen nach Gesichtspunkten des Züchters zu be-
trachten zu sein. Hier liegen enge Grenzen. Die Betrachtung hat Sinn z.B. inbezug auf
bestimmte für die Gesamtheit der Bevölkerung unwesentliche Krankheiten (deren ra-
tionale Behandlung nach Erkenntnissen der Vererbungslehre, in sehr beschränktem
Umfang, einsichtig ist). Dagegen die ungeheuren Veränderungen der Menschen inner-
halb weniger Generationen und vollends im Laufe der Geschichte können bisher nicht
auf biologische Veränderungen zurückgeführt werden. Hier gelten vielmehr folgende
Sätze: Dieselben biologischen Menschentypen bringen unter anderen Lebensbedin-
gungen andere Erscheinungen der gleichen Charakteranlagen hervor. - Aus der biolo-
gisch gleichbleibenden Bevölkerung kommen durch verwandelte Wirtschaftsverhält-
nisse, Aufgabenstellungen, sociologischea Zustände andere Typen zur Geltung. - Andere
Erziehung und andere Erfahrungen verwandeln die neuen Generationen; jeder Mensch
lebt von dem, woher er kommt, und was er überwunden hat, und dies ist schon von Ge-
neration zu Generation anders. - Geistig-seelische Erfahrungen haben ihren dialekti-
schen Fortgang, wie im einzelnen Menschen, so auch in Generationsfolgen, mit Um-
schlägen in Gegensätze13, mit Erschöpfungen, mit Ablehnungen und neuen Antrieben.
Anders ist die Frage, ob der Mensch nicht in Analogie zu domesticierten Tieren bio-
logische Veränderungen dadurch eingehe, dass er ähnlich wie jene, aber durch von
ihmc selber hervorgebrachte Lebensweise (Häuser, Kleider, zubereitete Nahrung usw.)
»domesticiert« ist. Man hat gefragt, ob die Civilisation als solche nicht durch Dome-
stikation biologische Verfallserscheinungen zur Folge habe und ob ihnen, wenigstens
in gewissem Umfang, entgegenzuwirken sei. Hier ist eine Fragestellung gegeben, wel-
che wirkliche Untersuchungen ermöglicht. Soweit sie bisher überzeugend wirken, blei-
ben sie im Rahmen der Hygiene. Grundsätzlich aber ist zu warnen vor der einfachen
Analogisierung mit den Tieren. Die Wertschätzung nach biologischer Gesundheit und
Verfall, ferner die Wertschätzungen der Tier- und Pflanzenzüchterd sind nicht die glei-
chen, welche dem Menschen gegenüber massgebend sind, höchstens treffen sie eine
biologische Grundlage des Menschen, welche zumeist garnicht eindeutig inbezug auf
den Menschenwert zu beurteilen ist. Der Mensch ist nicht einfach ein Glied in der
Kette der Lebewesen, geeignet zu weiterem biologischen Aufstieg wie - der Entwick-
lungstheorie nach - die in Stammbäumen von einander abhängigen aufsteigenden
Tierreiche. Was der Sinn des Menschen ist, kann der Mensch nicht überblicken, am
wenigsten in so rohen biologischen Aspekten.

a sociologische nach der Abschrift Gertrud Jaspers statt sociologischen im Ms.
b Gegensätze nach der Abschrift Gertrud Jaspers statt Gegensätzen im Ms.
c statt ihm im Ms. und in der Abschrift Gertrud Jaspers ihnen
d stattTier- und Pflanzenzüchter im Ms. und in der Abschrift Gertrud Jaspers Tiere und Pflanzenzüchter
 
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