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Grundsätze des Philosophierens
neue Welt erbaut, zunächst in kleinsten Gruppen, so können hier neue Quellen flies-
sen zur Belebung abermaligen Versuchs der Weltordnung.
Gegen den Nihilismus inbezug auf das Ganze der menschlichen Weltordnung steht
zweitens das Vertrauen in die Idee. Sie ist ihrem Wesen nach nicht schon Wirklichkeit,
sondern Aufgabe für die Verwirklichung. Durch keine Erfahrung ist zu beweisen oder
zu widerlegen, wie weit man darin kommen wird. Es kommt auf den Versuch und die
Tat an. Dieser Versuch ist nicht als schnelle, kurzatmige Unternehmung, als vermeint-
liche totale Realisierung sinnvoll, sondern er verlangt die Arbeit des Menschen an sich
selbst zum Aufschwung mit den anderen durch Generationen hindurch. Dem, der dies
begreift, wird die Grösse der Völker sichtbar in den Zeiten, in denen sie solches ver-
suchten.
Aber die Idee gibt nur die Richtung für ein Tun in der Welt, nicht das Bild der Welt-
ordnung im Ganzen. Keine Idee gibt das eine umfassende Geschichtsbild.
Zur Idee gehört auch ihr Scheitern im je besonderen Staat. Im Scheitern kann sie
neu geboren werden, wenn die geistige Überlieferung aus dem Ganzen der menschli-
chen Geschichte standhält.
Weil die Welt unvollendbar ist, ist auch hier das Letzte eine Polarität, in der die Be-
wegung vor sich geht: Auf der einen Seite: Die Idee führt mich. Sie zeigt mir, was ich
will und was ich tue, an welchen Ort ich mich stelle, wofür und wogegen ich wirke und
kämpfe. Auf der anderen Seite: Im Hintergrund aller Ideen steht das Grenzbewusst-
sein. Denn die Verwirklichung steht im Schatten der Notwendigkeit ihres Scheiterns.
Indem die Grenze mir fühlbar macht, dass die Idee nicht das Letzte ist, lässt sie in mir
wach werden das, woraus ich lebe, ohne es in einer Idee gegenwärtig zu haben, oder
das, was umgreifend geschieht, ohne gewusst und ohne wissbar zu sein.
Die philosophischen Gedanken gehen dementsprechend zweierlei Wege: Sie ge-
ben die Entwürfe der Ideen, aus denen Ziele bestimmt werden, für die sich Pläne zur
Verwirklichung ergeben. Und sie versuchen Erhellungen der Grenzen und des Umgrei-
fenden, welche in das Dunkel leuchten, aus dem auch die Ideen hervorgehen und in
das sie mit ihren Verwirklichungen wieder versinken.
Die Idee verwirklicht sich nur in der Arbeit an der Welt. Sie baut auf, was in der Welt
in Überwindung der Widerstände gelingt, die am Ende übermächtig werden. Es ist ein
tötlicher Mangel der Idee - wenn eines ihrer Schemata zur Doktrin wird -, dass sie die
Widerstände vergisst; daher die Grösse der Denker, die in einer illusionären Welt das
Faktische erbarmungslos zeigen, wie Macchiavelli. Aber es ist ein tötlicher Mangel des
Trägers der Idee, wenn er im Scheitern einer bestimmten Gestalt der Idee an der Idee
überhaupt verzweifelt. Scheitern kann für die Nachfolgenden neuer Ansatz der ewi-
gen Aufgabe, Chance eines grösseren Gelingens werden.
Nur das Vertrauen in die Idee macht immer wieder aufgeschlossen für das Ganze.
Sie bringt das leidenschaftliche Interessiertsein an der Menschheit (nicht nur an ein-
Grundsätze des Philosophierens
neue Welt erbaut, zunächst in kleinsten Gruppen, so können hier neue Quellen flies-
sen zur Belebung abermaligen Versuchs der Weltordnung.
Gegen den Nihilismus inbezug auf das Ganze der menschlichen Weltordnung steht
zweitens das Vertrauen in die Idee. Sie ist ihrem Wesen nach nicht schon Wirklichkeit,
sondern Aufgabe für die Verwirklichung. Durch keine Erfahrung ist zu beweisen oder
zu widerlegen, wie weit man darin kommen wird. Es kommt auf den Versuch und die
Tat an. Dieser Versuch ist nicht als schnelle, kurzatmige Unternehmung, als vermeint-
liche totale Realisierung sinnvoll, sondern er verlangt die Arbeit des Menschen an sich
selbst zum Aufschwung mit den anderen durch Generationen hindurch. Dem, der dies
begreift, wird die Grösse der Völker sichtbar in den Zeiten, in denen sie solches ver-
suchten.
Aber die Idee gibt nur die Richtung für ein Tun in der Welt, nicht das Bild der Welt-
ordnung im Ganzen. Keine Idee gibt das eine umfassende Geschichtsbild.
Zur Idee gehört auch ihr Scheitern im je besonderen Staat. Im Scheitern kann sie
neu geboren werden, wenn die geistige Überlieferung aus dem Ganzen der menschli-
chen Geschichte standhält.
Weil die Welt unvollendbar ist, ist auch hier das Letzte eine Polarität, in der die Be-
wegung vor sich geht: Auf der einen Seite: Die Idee führt mich. Sie zeigt mir, was ich
will und was ich tue, an welchen Ort ich mich stelle, wofür und wogegen ich wirke und
kämpfe. Auf der anderen Seite: Im Hintergrund aller Ideen steht das Grenzbewusst-
sein. Denn die Verwirklichung steht im Schatten der Notwendigkeit ihres Scheiterns.
Indem die Grenze mir fühlbar macht, dass die Idee nicht das Letzte ist, lässt sie in mir
wach werden das, woraus ich lebe, ohne es in einer Idee gegenwärtig zu haben, oder
das, was umgreifend geschieht, ohne gewusst und ohne wissbar zu sein.
Die philosophischen Gedanken gehen dementsprechend zweierlei Wege: Sie ge-
ben die Entwürfe der Ideen, aus denen Ziele bestimmt werden, für die sich Pläne zur
Verwirklichung ergeben. Und sie versuchen Erhellungen der Grenzen und des Umgrei-
fenden, welche in das Dunkel leuchten, aus dem auch die Ideen hervorgehen und in
das sie mit ihren Verwirklichungen wieder versinken.
Die Idee verwirklicht sich nur in der Arbeit an der Welt. Sie baut auf, was in der Welt
in Überwindung der Widerstände gelingt, die am Ende übermächtig werden. Es ist ein
tötlicher Mangel der Idee - wenn eines ihrer Schemata zur Doktrin wird -, dass sie die
Widerstände vergisst; daher die Grösse der Denker, die in einer illusionären Welt das
Faktische erbarmungslos zeigen, wie Macchiavelli. Aber es ist ein tötlicher Mangel des
Trägers der Idee, wenn er im Scheitern einer bestimmten Gestalt der Idee an der Idee
überhaupt verzweifelt. Scheitern kann für die Nachfolgenden neuer Ansatz der ewi-
gen Aufgabe, Chance eines grösseren Gelingens werden.
Nur das Vertrauen in die Idee macht immer wieder aufgeschlossen für das Ganze.
Sie bringt das leidenschaftliche Interessiertsein an der Menschheit (nicht nur an ein-