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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0370
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Grundsätze des Philosophierens

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geschehen wieder durch Menschen. Der Mensch kommt auf keine Weise aus den Gren-
zen seiner Mängel und seiner Endlichkeit heraus.
Jeder Zustand von Staat und Gesellschaft ist also noch derart, dass er anders wer-
den muss. Die Antinomien sind der Grund, dass mit dem Ergreifen des Erwünschten
ein Unerwünschtes zugleich sich verwirklicht. Daher die Wahrheit der von den poli-
tischen Denkern ausgesprochenen Klagen: »Nie kann man einen Übelstand beseiti-
gen, ohne dass ein anderer daraus entsteht« (Macchiavelli).263
Alle diese Antinomien setzen der Verwirklichung die Grenze, nicht nur dass die
Idee unvollendbar ist, sondern dass sie radikale Störungen selber bewirkt. Die Idee
muss vor dem Unmöglichen die Kraft ihrer Verwirklichung im Möglichen bewahren.
Sonst wird sie entweder unwahrhaftig oder erlahmt.
cc. Scheitern und Wiederherstellung der Idee
Die Idee geht notwendig auf das Ganze der menschlichen Welt in ihrem Dasein. Da-
her geht der Blick des Menschen auf die Zukunft im Ganzen, auf die Weltordnung im
Weltreich als das Schema der Idee. Man kann von der Idee absehen, sie für eine un-
praktische Phantasie halten, für so fern und unzugänglich, dass sie für gegenwärtige
Aufgaben nicht in Betracht kommt. Aber der Gedanke daran zwingt sich immer wie-
der auf. Das Denken des Menschen kann sich nur gewaltsam und vernunftwidrig eine
Schranke setzen. Seine Phantasie nimmt das Äusserste vorweg. Und das, was im Äus-
sersten durch die Idee gedacht wird, ist schliesslich Massstab für die Beurteilung des-
sen, was geschieht und was ich tue.
Das Wissen um die Grenzen erzwingt trübe Phantasien. Was geschieht, wenn das
Ganze einer Weltordnung im Weltreich einst irgendwie da ist? Nun kann alles, was ge-
schieht, nur noch von innen, nichts mehr von aussen kommen. Der Wegfall der Not-
wendigkeit der Selbstbehauptung brachte die Freiheit, aber vielleicht ist gerade dieses
der Ausgang endgültigen Verfalls. Vielleicht ist das teilweise Gelingen in Athen, in der
römischen Republik nur ein Zufall in Combination von nationaler Veranlagung mit
glücklichen Situationen. Vielleicht sind Massendespotien[,] die bisher das relative
Ende waren, einst das absolute Ende. Dieses Vielleicht wird Gewissheit für den Nihi-
lismus. Der Nihilist hält alles Tun für vergeblich. Er hält sich an die Erfahrung der Ge-
schichte vom Durchschnitt der menschlichen Eigenschaften. Die Gewalt triumphiert.
Gerechte Ordnungen in Freiheit der sich verstehenden Menschen sind unmöglich.
Die Idee einer Weltordnung in Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden ist eine Illusion.
Gegen den Nihilismus inbezug auf das Ganze der menschlichen Weltordnung steht
erstens der Ausweg für den Einzelnen. Wenn alle Ordnung scheitert, bleibt dem ein-
zelnen Menschen der Raum eines weltüberwindenden Lebens mit Gott. Es wurde in
allen grossen Kulturbereichen verwirklicht. Wenn dieses Leben aber nicht im weltver-
lassenden Eremitentum endigt, sondern in glaubender Gemeinschaft in der Tat eine
 
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