Grundsätze des Philosophierens
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ehrung, meiden scheu deren Verletzung. Aber dabei fragen sie jederzeit, erwägen den
autoritativen Rat, prüfen die Handlungen der Autorität, behalten sich vor, was ihnen
aus eigener Überzeugung geschichtlich erwachsen wird. Es ist ihnen ein stiller, weil aus
Scheu sich lange verbergender Schmerz, wenn bis dahin geglaubte Autorität enttäuscht.
Aber der Beweggrund ist nicht, Autorität zu stürzen, sondern zur tieferen und wahre-
ren Autorität zu kommen. Der Anspruch bleibt, gemeinsam in der autoritativen Stim-
mung zu leben. Feinde dieser Stimmung sind der aus dem Nichts seine Richtigkeiten
entwerfende Verstand und die blind ihre Zwecke verwirklichende Gewalt.
Wo Autorität gilt, geht der hohe Anspruch an jeden einzelnen Menschen, mit sei-
nem Reifwerden in seiner Stellung Autorität zur Wirksamkeit kommen zu lassen, und
sei es in noch so bescheidenem Umfang. Er muss mehr werden, als er dann ist, wenn er
nur gehorcht; er darf nicht enttäuschen den, der ihm vertraut, der ihm untergeben ist,
über den er irgendeine Macht hat. Es fordert Disciplin und Entsagung, Steigerung der
inneren Spannung und den Ernst der Verantwortung, auch nur die geringste Autorität
auszuüben. Und jede Stellung einer Überordnung verlangt, dass die Gewalt durch Auto-
rität beseelt werde. Niemand hat ein Recht zu befehlen, der von sich nicht grundsätz-
lich mehr verlangt, als der Gehorchende. Durch sein Ethos, sein Benehmen, seine Ver-
lässlichkeit, durch die Zucht seiner Sprache muss er die Überordnung, die er rechtlich
einnimmt, rechtfertigen. Sich dem Autoritätsein entziehen, ist ein existentieller3 Man-
gel. Der autoritätslose Befehlende hilft sich durch Gewaltsamkeit,b durch gedankenlose
Anordnung, die keinen Blick der Nähe für die anderen hat, durch Verborgenheit, damit
er nicht selber aufzutreten braucht. Befehlen wird ihm eine Funktion ohne Substanz,
Übergeordnetsein ein Privileg, nicht ein Anspruch an sein innerstes Menschsein.
Autorität trägt den Gehalt der Überlieferung. Autorität ist das schützende Gehäuse
der Freiheit. Es ist wie ein eisiger Anhauch des Verderbens einer Welt, wenn Autorität
ausbleibt.
Vierter Abschnitt: Die philosophische Haltung des politischen Menschen
Wir suchen die Grundzüge im Charakter des Menschen, der politisch handelt. Zwar
ist ein anschauliches Ideal des Staatsmanns unmöglich, denn jede Verwirklichung ist
geschichtlich, damit endlich und zugleich unvollendet. Je nach der weltgeschichtli-
chen Lage und den besonderen Constellationen sind verschiedene Charaktere poli-
tisch gross und wahr. Aber es lassen sich Linien ziehen, die ins Unendliche verlängert
sich im Ideal gleichsam treffen würden.
a existentieller im Ms. hs. Vdg. für ethischer
b nach Gewaltsamkeit, im Ms. gestr. durch Gebrüll und Affekt,
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ehrung, meiden scheu deren Verletzung. Aber dabei fragen sie jederzeit, erwägen den
autoritativen Rat, prüfen die Handlungen der Autorität, behalten sich vor, was ihnen
aus eigener Überzeugung geschichtlich erwachsen wird. Es ist ihnen ein stiller, weil aus
Scheu sich lange verbergender Schmerz, wenn bis dahin geglaubte Autorität enttäuscht.
Aber der Beweggrund ist nicht, Autorität zu stürzen, sondern zur tieferen und wahre-
ren Autorität zu kommen. Der Anspruch bleibt, gemeinsam in der autoritativen Stim-
mung zu leben. Feinde dieser Stimmung sind der aus dem Nichts seine Richtigkeiten
entwerfende Verstand und die blind ihre Zwecke verwirklichende Gewalt.
Wo Autorität gilt, geht der hohe Anspruch an jeden einzelnen Menschen, mit sei-
nem Reifwerden in seiner Stellung Autorität zur Wirksamkeit kommen zu lassen, und
sei es in noch so bescheidenem Umfang. Er muss mehr werden, als er dann ist, wenn er
nur gehorcht; er darf nicht enttäuschen den, der ihm vertraut, der ihm untergeben ist,
über den er irgendeine Macht hat. Es fordert Disciplin und Entsagung, Steigerung der
inneren Spannung und den Ernst der Verantwortung, auch nur die geringste Autorität
auszuüben. Und jede Stellung einer Überordnung verlangt, dass die Gewalt durch Auto-
rität beseelt werde. Niemand hat ein Recht zu befehlen, der von sich nicht grundsätz-
lich mehr verlangt, als der Gehorchende. Durch sein Ethos, sein Benehmen, seine Ver-
lässlichkeit, durch die Zucht seiner Sprache muss er die Überordnung, die er rechtlich
einnimmt, rechtfertigen. Sich dem Autoritätsein entziehen, ist ein existentieller3 Man-
gel. Der autoritätslose Befehlende hilft sich durch Gewaltsamkeit,b durch gedankenlose
Anordnung, die keinen Blick der Nähe für die anderen hat, durch Verborgenheit, damit
er nicht selber aufzutreten braucht. Befehlen wird ihm eine Funktion ohne Substanz,
Übergeordnetsein ein Privileg, nicht ein Anspruch an sein innerstes Menschsein.
Autorität trägt den Gehalt der Überlieferung. Autorität ist das schützende Gehäuse
der Freiheit. Es ist wie ein eisiger Anhauch des Verderbens einer Welt, wenn Autorität
ausbleibt.
Vierter Abschnitt: Die philosophische Haltung des politischen Menschen
Wir suchen die Grundzüge im Charakter des Menschen, der politisch handelt. Zwar
ist ein anschauliches Ideal des Staatsmanns unmöglich, denn jede Verwirklichung ist
geschichtlich, damit endlich und zugleich unvollendet. Je nach der weltgeschichtli-
chen Lage und den besonderen Constellationen sind verschiedene Charaktere poli-
tisch gross und wahr. Aber es lassen sich Linien ziehen, die ins Unendliche verlängert
sich im Ideal gleichsam treffen würden.
a existentieller im Ms. hs. Vdg. für ethischer
b nach Gewaltsamkeit, im Ms. gestr. durch Gebrüll und Affekt,