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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0409
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406

Grundsätze des Philosophierens

wusstsein gehört zu dem grundsätzlich Wesentlichen, wie Religion und Erziehung und
wie die Weise des Grundwissens, es ist nicht eine Partikularität, die als Fachlichkeit
nur bestimmten Berufen, nicht dem Menschen als Menschen zukommt.
Von diesem politischen Bewusstsein des Menschen schlechthin ist zu unterschei-
den der Beruf des Politikers. Nur wenige sind begabt, gewillt und in die Lage gebracht,
zu regieren. Der Staatsmann ist ein Gipfel des Menschseins in der Daseinsordnung.
Wie er aushält in dem specifischen Ethos, wie er als Mächtigster noch die Ohnmacht
des Menschen spürt, wie er den Verführungen der Verblendung und des Übermuts
standhält, ist er gerade in der Schlichtheit eine höchste Erscheinung dessen, was Men-
schen möglich ist. Sein Wirken ist Gegenstand der Dankbarkeit aller, die durch ihn in
ihrem Dasein gerettet werden. Die politischen Tugenden haben ihre eigene Würde, ih-
ren einzigartigen Sinn in ihrer alles begründenden Daseinsbedeutung. Das Ethos des
politischen Menschen, selten verwirklicht, von der Menge (die Sensation, Effekt, au-
genblickliche Erfolge in ihrem Sinne begehrt) nie anerkannt, ist in seiner Bescheidung
die Wirklichkeit, die allein zum Segen der Menschen in der Daseinswelt führen kann.
Und doch sind die politischen Tugenden nicht das Höchste schlechthin, die Poli-
tik nicht das Höchste, was der Mensch ergreifen kann.
Ist die Neigung, sich regieren zu lassen, die Bereitschaft zum Regiertwerden
schlechthin würdelos? Ist der Mensch nur frei, der teilnimmt am politischen Entschei-
den und Handeln? Zumeist ist es so.
Aber wenn es dem Menschen versagt ist, ist er als Mensch nicht verloren. Im schei-
ternden Dasein kann er höhere Möglichkeiten sehen, die im politischen Gelingen
leicht verschleiert werden, obgleich sie auch diesem erst seinen vollen Sinn geben da-
durch, dass das Politische Bedingungen schafft für etwas, das es selber nicht hervor-
bringt. Das sind alle die Möglichkeiten des Menschseins, in denen das eigentliche Sein
offenbar wird.
Die Bescheidung in der hohen menschlichen Kraft des politischen Menschen ist
das Wissen darum, dass sein Tun und sein Feld nicht das Höchste sind, was dem Men-
schen aufgegeben ist. Die Grösse des Staatsmanns als Menschen ist die Überlegenheit
über sein eigenes Tun. Daraus erwächst ihm in der sachlichen Leidenschaft zugleich
die Distanz, die wiederum seiner Sache zugute kommt. In der Welt allen Menschen
überlegen[,] unterwirft er sich dem, was dem Menschen als Menschen in der Welt über
die Welt hinaus das Höchste ist.
 
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