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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0421
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418

Grundsätze des Philosophierens

ein ausserhalb des Allgemeinen gestellt sein. Der Verlorenheit im dämonischen Para-
dox steht gegenüber die Erlösung im göttlichen Paradox.
Das Dämonische als der trotzige Wille zum eigenen zufälligen Selbst ist ein Ver-
zweifelt-man-selbst-sein[-]wollen. »Je mehr Bewusstsein in einem solchen ist, desto
mehr potenziert sich die Verzweiflung und wird zum Dämonischen. Ein Mensch quält
sich in irgendeiner Pein. Gerade auf diese Qual wirft er nun seine ganze Leidenschaft.
Jetzt will er keine Hilfe. Er will lieber gegen alles rasen, will der von der ganzen Welt,
vom Dasein unrecht Behandelte sein. In dieser Verzweiflung will er nicht einmal in
stoischer Selbstvergötterung er selbst sein, er will in Hass gegen das Dasein er selbst
sein, er selbst nach seiner Jämmerlichkeit. Er meint, indem er sich gegen das ganze Da-
sein empört, einen Beweis gegen dieses, gegen dessen Güte zu haben. Dieser Beweis
meint der Verzweifelte selbst zu sein, und der will er sein, um mit dieser Qual gegen
das ganze Dasein zu protestieren.«300
Der dämonische Wille, potenziert durch Bewusstsein, kann nun in der Tat sich
nicht durchsichtig werden, sondern sich nur im Dunkeln erhalten. So verstärkt er alle
Kräfte der Verschlossenheit und sträubt sich gegen das Offenbar werden. Daher die wi-
derspruchsvolle Verschränkung von Offenbarkeit und Verschlossenheit: »Die Ver-
schlossenheit kann die Offenbarung wünschen, nur soll diese von aussen zuwege ge-
bracht werden, ihr also zustossen. Sie kann die Offenbarung wollen, bis zu einem
gewissen Grade, möchte aber einen kleinen Rest zurückbehalten, um dann die Ver-
schlossenheit von vorn beginnen zu lassen. Sie kann die Offenbarung wollen, aber in-
kognito (bei manchen Dichterexistenzen). Die Offenbarung kann schon gesiegt ha-
ben; im selben Moment aber wagt die Verschlossenheit einen letzten Versuch und ist
schlau genug, die Offenbarung in eine Mystification zu verwandeln, und nun hat sie
gesiegt.«301 »Die Frage ist, ob ein Mensch im tiefsten Sinne die Wahrheit erkennen, ob
er von ihr sein ganzes Wesen durchdringen lassen, alle ihre Konsequenzen annehmen
will, und ob er nicht im Notfall für sich einen Schlupfwinkel reserviert.«302 Das Dämo-
nische ist virtuos im Verstecken. Zum Verstecken dient das Dialektische. Darin ver-
schleiert es sich »mit dämonischer Virtuosität der Reflexion«.303
Da das Dämonische keinen Halt in sich hat, kann es nichts wirklich durchhalten.
In der Verschlossenheit kann es doch das Schweigen nicht aushalten, »dann endet der
Unglückliche damit, dass er jedem sein Geheimnis auf drängt.«304 Aber zugleich hat er
Angst vor dem Offenbarwerden: »Gegenüber einem, der ihm im Guten überlegen ist,
kann der Dämonische für sich bitten, er kann mit Thränen für sich bitten, dass er nicht
zu ihm rede, dass er ihn nicht schwach mache.«305
Das eigentliche Kennzeichen des Dämonischen, der sich auf sein zufälliges Selbst
als das Absolute zurückgezogen hat, ist, dass ihm nichts mehr ernst sein kann. Kierke-
gaard versteht so die Worte Macbeth’s nach Ermordung des Königs: »Von jetzt gibt es
nichts Ernstes mehr im Leben.«306 Wenn dies nicht zum Rasen des Nichts führt, so ver-
 
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