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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0426
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Grundsätze des Philosophierens

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Blick, der von dem gottfernen Drang zur Vergötzung nicht befangen ist, vollzieht leichta
die empirische Entlarvung jener Idole. Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher
Selbstverständlichkeit die Tatbestände der Realität der vergötterten Menschen umgan-
gen, verschleiert, gewaltsam umgedeutet werden.
Menschenvergötterung geht nicht nur auf Tyrannen. Auch Menschen edler Artung,
geistiger Grösse, ethischer Unbedingtheit sind der Vergötterung verfallen. Im Leiden-
und Sterbenkönnen wurde ein Gott gesehen. Noch in der matt werdenden Welt geisti-
ger Bildung bleibt ein Rest dieser Haltung in der blinden Verehrung, in der fraglosen Un-
antastbarkeit grosser Menschen, in der untilgbaren Neigung zur Mythisierung.
Das Verhalten zu Lebenden steigert sich noch einmal dem Toten gegenüber. Die
Vergötterungen in der Antike (Apotheosen) und die Heroisierungen waren häufig.
Ein neuer Charakter der Vergötterung erwächst, wenn die Vergötterung nur einen
einzigen Menschen trifft, diesen einen zum absoluten macht, ausschliessend und ein-
zig in ihm den Gott sieht, sei es für immer, sei es für dieses Zeitalter. Diese Ausschliess-
lichkeit wird schon von der Eifersucht des Machtwillens bejahtb. Sie kann der Ausdruck
des Wahrheitswillens sein, dem die Wahrheit nur eine ist.
Dass ein Mensch sich selber zum Gott erklärt, kann bedenklicher erscheinen, als
dass er sich die Einzigkeit gibt,c von Gott zu künden. Dies ist nicht selten geschehen:
erd ist der ausschliessend Berufene; in jedem Zeitalter soll nur einer sein, der als Beru-
fener von Gott zu künden, die Führung der Menschen zu übernehmen vermag.6
Menschenvergötterung ist allverbreitet. Sie ist noch ein Faktor in der Ausgestaltung
der grossen Religionen. Nicht zwar Jesus und Buddha haben sich für Gott erklärt, aber
ihre Jünger haben sie dazu gemacht/ Die Interpretationsweise der Menschenvergöt-
terung ist vielfach und zwar derart, dass jeweils die besondere geglaubte Gestalt nicht
auf Menschenvergötterung beruhen soll. Man ist geschickt im unterscheidenden Ab-

a leicht im Vorlesungs-Ms. 1945/46 Vdg. zu unerbittlich
b bejaht im Vorlesungs-Ms. 1945/46 Vdg. zu begehrt
c Dass ein Mensch sich selber zum Gott erklärt, kann bedenklicher erscheinen, als dass er sich die
Einzigkeit gibt, im Vorlesungs-Ms. 1945/46 Vdg. zu Ein Mensch zwar erklärt sich nicht leicht selbst
für einen Gott, wenn er nicht wahnsinnig ist und nicht damit Politik machen will. Viel eher aber
gibt er sich die Einzigkeit,
d Dies ist nicht selten geschehen: er im Vorlesungs-Ms. 1945/46 Vdg. zu Er
e nach vermag, im Vorlesungs-Ms. 1945/46 Einf. Dies haben wir in Deutschland von Stefan George
gehört, der solche groteske Haltung zu unserem Staunen einnahm und damit ein Gegenstand ent-
weder fanatischer Verehrung oder der Lächerlichkeit wurde, was nichts damit zu tun hat, dass er
ausgezeichnete Gedichte, zumeist in seinen jüngeren Jahr en [,] verfasst hat. 11
f Nicht zwar Jesus und Buddha haben sich für Gott erklärt, aber ihre Jünger haben sie dazu gemacht.
im Vorlesungs-Ms. 1945/46 Vdg. zu Nicht zwar Buddha hat sich für einen Gott erklärt, aber spätere
Jünger haben ihn dazu gemacht.
 
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