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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0427
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424

Grundsätze des Philosophierens

heben von all den anderen Menschenvergötterungen, die man verwirft, um die eigene
in einem Gewebe anscheinend anderen Sinns zu verschleiern?
In welchen Motivzusammenhängen die Menschenvergötterung auch immer auf-
tritt, zu welchen sublimen Formen und tiefsinnigen Deutungen sie sich steigern mag,
in der Wurzel ist sie ein Irrtum,b ein Ersatz für Glauben, der sich als absurder Glaube
gerade für den eigentlichen Glauben halten kann. Dieser Unglaube ist zumeist daran
kenntlich, dass er Glauben für seinen Gegenstand fordert, fanatisch, lieblos, zornig
ist, dass es ihm unerträglich ist, wenn andere nicht denselben Glauben haben. Alle sol-
len anbeten, was er anbetet?
Menschenvergötterung ist im Grunde eine der Weisen dämonologischer Anschau-
ung. Wie in Gottlosigkeit nach Dämonen als vermeintlicher Transcendenz gegriffen
wird, so wird der selber schon nicht existente Menschdämon Gottmenschd genannt.
Zur Menschenvergötterung neigene glaubenslose Menschenf.
Philosophische Kritik hat die Menschenvergötterung bis in ihren letzten Schlupf-
winkel zu verfolgen und® zu entschleiern. Es ist eine Forderung Gottes, ihn nicht zu ver-
wechseln, ihn nicht durch Falschheiten aus seiner Verborgenheit zu reissen, in die er
dann nur um so entschiedener zurücktritt. Er fordert vom Menschen, dass der Mensch
es wage, vor ihm unmittelbar zu stehen und zu warten, was er ihm sage. Der Mensch soll
sich ihm nicht entziehen, indem er einen Menschen sich als Absolutes vor Augen stellt.
Es ist die harte Forderung, in der Leere der Welt zu ertragen, dass Gott nicht da ist wie ir-
gendetwas in der Welt. Nur in dieser herben Situation bleibt der Mensch frei dafür, Gott
zu hören, wenn Gott spricht, bleibt er bereit, auch wenn Gott nie sprechen sollte, bleibt
er offen für die Wirklichkeit, die ihm geschichtlich zur Erscheinung wird.
In der Welt ist kein Mensch, der uns Gott sein könnte, wohl aber11 die hohen Men-
schen, deren Freiheit im Hören auf Gott uns zeigt, was Menschen möglich ist1.

a Man ist geschickt im unterscheidenden Abheben von all den anderen Menschenvergötterungen,
die man verwirft, um die eigene in einem Gewebe anscheinend anderen Sinns zu verschleiern, im
Vorlesungs-Ms. 1945/46 Vdg. zu Man unterscheidet gerade von all den Menschenvergötterungen,
die man verwirft, den eigenen Glaubensinhalt in einem Gewebe anscheinend ganz anderen Sinns.
b ein Irrtum, im Vorlesungs-Ms. 1945/46 Vdg. zu für den philosophischen Menschen ein Irrtum.
Manchmal wirkt er wie
c nach anbetet, im Vorlesungs-Ms. 1945/46Einf. Aller wahren [sic!] Glaube ist ruhig, teilt sich mit und
wartet, will nicht Anerkennung und nicht Macht. Er ist untrennbar von Liebe. 11
d Gottmensch im Vorlesungs-Ms. 1945/46 Vdg. zu ein Gott
e neigen im Vorlesungs-Ms. 1945/46 Vdg. zu scheinen philosophisch
f nach Menschen im Vorlesungs-Ms. 1945/46Einf. zu neigen
g bis in ihren letzten Schlupfwinkel zu verfolgen und im Vorlesungs-Ms. 1945/46 Vdg. zu in allen ih-
ren Erscheinungen
h nach aber im Vorlesungs-Ms. 1945/46Einf. gibt es
i nach ist im Vorlesungs-Ms. 1945/46 Einf. , und was uns ermutigt. Wir können nicht leibhaftig die
Hand Gottes ergreifen, wohl aber die des Schicksalsgefährten.
 
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