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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0433
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Grundsätze des Philosophierens

Da alles Wissen einen jeweils begrenzten Sinn hat, da ferner alles Beweisen unter
Voraussetzungen auf eine endliche Sache in der Welt sich bezieht, so ist die Forderung,
Aussagen vom Sein im Ganzen, von der Welt schlechthin, von Gott zu machen, falsch,
sofern Aussagen verlangt werden, die eindeutig für sich bestehen, einen endgiltigen
Sinn haben und beweisbar sind. Beweisen lässt sich nur die Unbeweisbarkeit der allge-
meinen Aussagen z.B. vom Weltganzen, seien diese negativ oder positiv (Kants Ana-
lyse der Antinomien mit dem Ergebnis: ich musste das Wissen aufheben, um dem
Glauben Platz zu verschaffen).314
Zu den Verabsolutierungen gehören weiter die Tendenzen, eine bestimmte Denk-
form für alles verwenden zu wollen, z.B. das alternative Denken. Dieses ist berechtigt,
wo der Verstand es mit endlichen Gegenständen zu tun hat, die entweder so oder so
sich verhalten. Es wird falsch, wo alles Sagbare polemisch subsumiert wird unter die
kategorialen Gegensätze3.
Die Verabsolutierung in rationalen Sätzen heisst doktrinär. Man hält an Grundsät-
zen fest als so formulierten, logisch bestimmten Grundsätzen und wird unfähig, sie
noch einmal in Frage stellen zu lassen.
Unmerklich verwirklicht sich die Verabsolutierung auch in Gedankenformen und
Sätzen, die gleichsam als Riten des speculativen Gedankens unantastbar, absolute Wahr-
heit geworden sind, so in philosophischen Schulen der Aristoteliker, Hegelianer u.a.
Als Bekenntnissätze werden Verabsolutierungen gleichsam zur Fahne. Sie sind der
Haltpunkt, Merkmal der Zugehörigkeit, das signum des Enthusiasmus, das Zeichen
des Kampfes.
bb. Ontologie: Ontologie will eine Lehre sein vom Sein selbst, an sich und im Gan-
zen. In der Tat wird sie jedoch in der Durchführung notwendig zu bestimmtem Wis-
sen von etwas im Sein, nicht zum Wissen vom Sein selbst.
Es gibt die Erhellung des Umgreifenden, die, selber in Bewegung und Unvollen-
dung, in der Schwebe bleibt; es gibt ferner eine universale Kategorien- und Methoden-
lehre der Denkbarkeiten. Beide treten an die Stelle der immer unwahren Ontologie.
Ontologie ist, auch wenn sie Gott einschliesst, am Ende immer Immanenzlehre,
Lehre von Bestehendem, vom Sein als Seiendem, so wie es vom Menschen gedacht und
erkannt wird derart, dass dies Erkennen mit dem Erkannten coincidiert. Gegen diese
Verkehrung philosophischer Erhellung zum Seinswissen steht das wahre Philosophie-
ren. Es verlässt nicht den Raum des Umgreifenden, vergisst nicht das zum Philosophie-
ren ständig zugehörende Transcendieren, bleibt offen dem Sein quer zur Zeit, das on-

wo alles Sagbare polemisch subsumiert wird unter die kategorialen Gegensätze im Vorlesungs-Ms.
1945/46 hs. Vdg. zu wenn alles Sagbare - das philosophische Denken, das Verstehen - polemisch
subsumiert wird unter die sich gegenseitig ausschliessenden kategorialen Gegensätze
 
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