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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0438
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IX. Teil'
Philosophie und Religion

Religion und Philosophie scheinen sich heute wie zwei unabhängige Mächte gegen-
überzustehen und sind doch aufeinander angewiesen. Philosophie ist auf Religion an-
gewiesen. Denn Religion verwirklicht, was niemals aus der Philosophie kommt und von
der Philosophie keineswegs verneint zu werden braucht. Religion ist auf Philosophie
angewiesen. Denn Philosophie erdenkt, was Religion zum Ausdruck ihres eigenen Glau-
bens benutzt oder was Stachel und Gewissen der Wahrheit ihrer Erscheinung wird.
Im Anfang aber sind Philosophie und Religion eins. Als etwas historisch Neues ent-
steht, dass Philosophie sich verselbständigt. Der Philosophierende glaubt die concrete
Religion in ihrer sociologischen Gestalt entbehren zu können. Er wendet sich gegen
einzelne religiöse Realitäten, wenn auch nicht notwendig gegen Religion im Ganzen.
Religion ihrerseits bekämpft das philosophische Denken als Angriff auf ihre Götter,
als Gefahr für das Gemeinwesen, als Auflehnung eigenmächtiger Willkür des Bösen.
Nach solcher Trennung aber zeigt sich doch die ursprüngliche Zusammengehörig-
keit. Die selbständig gewordene Philosophie ist selber ein Glaube, etwas mit der Reli-
gion Verwandtes, wenn nicht Identisches13, und die auf sich zurückgeworfene Religion
als Theologie philosophiert. Der philosophisch und der religiös Glaubende sind in der
Tiefe verbunden. In beiden wird ein Unbedingtes sich hell. Wo gedacht wird, ist auch
Philosophie, keine theologische Position ist ohne einen philosophischen Zug. Wo phi-
losophiert wird, ist auch Glaube, keine Philosophie ist ohne einen religiösen Zug. Da-
her bestehen gedankliche Analogien. So ist z.B. das Unvollendbare des Menschen in
der christlichen Theologie als Sünde, in der Philosophie als Endlichkeit des Menschen,
als das Sichnichtgenügen des Menschen, als Ungeschlossenheit des Denkens und als
unausweichliches Schuldigwerden begriffen.
Sowiec die Verselbständigung geschehen ist, ist auch die Spannung zwischen Phi-
losophie und Religion, insbesondere zwischen Philosophie und Theologie da. Aber es

a IX. Teil in der Abschrift Gertrud Jaspers hs. Vdg. für Zweiter Abschnitt:
b Verwandtes, wenn nicht Identisches nach der Abschrift A. F. statt verwandtes, wenn nicht identi-
sches im Ms. und in der Abschrift Gertrud Jaspers
c Sowie nach der Abschrift Schott statt So wie im Ms. und in den Abschriften Gertrud Jaspers und A. F.
 
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