Grundsätze des Philosophierens
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Eine sehr frühe Rationalisierung ist die Verwandlung des Opfers in eine rechnende
Leistung für einen Gott, von dem man als Gegenleistung dafür bestimmte Wirkungen
erwartet.
Historisch ist der Opfergedanke auf mannigfache Weise realisiert: durch Einrich-
tungen, welche in bestimmten Formen durch Opfer die Beziehung der Gemeinschaft
zu ihrem Gotte in ständiger Wiederholung pflegen, Gottes stete Gegenwart und Hilfe
bewirken, den geordneten Gang der Dinge, des Gemeinwesens, der Welt gewährlei-
sten; - in der Not die ausserordentlichen Opfer, so etwa die des eigenen Sohns seitens
des Königs, der in belagerter Festung trotz Ausweglosigkeit den Sieg gewinnen
möchte; - der Gedanke solidarischen Leidens, des Leidens des unschuldigen Gottes-
knechtes für alle (Deuterojesaias), Christi Opfertod.
Im Philosophieren löst sich der Opfergedanke von allen Formen einer Institution,
von der Zweckbezogenheit auf die Gottheit und ihre Leistungen, von dem bestimm-
ten Inhalt eines Glaubens. Er übersetzt sich in speculative Einsicht. Die Spekulation
sieht den Gang alles Werdens durch das Moment der Negativität, ich muss in der Zeit
entweder teilnehmen an den Gegensätzen oder kann nicht leben; es gibt keine Wahr-
heit ohne Falschheit, kein Gutes ohne Böses, es gibt nicht Leben ohne Tod. Es gelingt
kein Aufstieg ohne Verzicht, keine Verwirklichung ohne Vernichtung von Möglich-
keiten. Die speculative Einsicht bis zur Erhellung des Sinns von Scheitern, schliesslich
zum Verstummen vor dem undeutbaren Scheitern ist ein unerlässlicher Grund philo-
sophischer Haltung. Sie ermöglicht das Wissen um die Busse der Endlichkeit, die zu
ertragen ist. Sie erweckt den Willen zum Leiden, das in einer Situation unumgänglich
wird, wenn der Entschluss der Existenz nicht verraten werden soll. Sie schult die Ge-
duld, sie fordert das Ja trotz allem. Wie der Einzelne darin seinen Bezug auf Transcen-
denz findet, das entspringt weder den Einrichtungen einer Religion, noch weniger dem
Verstände, sondern der unerzwingbaren Weise, wie er sich selbst von der Transcen-
denz geschenkt wird. Das Philosophieren erhellt den Raum, worin dies geschehen
mag, die Wege, die als Bedingung es ermöglichen, - oder esa spricht aus Erfahrung, die
zwar unübertragbar ist, aber den anderen erwecken und ermutigen darf.
Opfer wird nicht einem danach verlangenden Gotte gegeben, sondern in Weltüber-
windung vollzogen, wo die unerrechenbare Notwendigkeit keinen Ausweg lässt. Im
Opfer ist Gott die letzte Zuflucht, aber nicht der Empfänger.
cc. Gebet:322 Kultus ist Akt der Gemeinschaft, Gebet ist Tun des Einzelnen in seiner
Einsamkeit. Kultus gibt es universell, Gebet wird historisch hier und da sichtbar, so im
alten Testament entschieden erst bei Jeremias. Das geistige Gebilde der Liturgie, in der
der Kultus stattfindet, ist gefüllt mit Texten, die man Gebete nennt, weil durch sie die
Gottheit angerufen, gepriesen, gebeten wird. Aber das Wesentliche daran sind die aus
statt es im Ms. sowie in den Abschriften Gertrud Jaspers, A. F. und Schott sie
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Eine sehr frühe Rationalisierung ist die Verwandlung des Opfers in eine rechnende
Leistung für einen Gott, von dem man als Gegenleistung dafür bestimmte Wirkungen
erwartet.
Historisch ist der Opfergedanke auf mannigfache Weise realisiert: durch Einrich-
tungen, welche in bestimmten Formen durch Opfer die Beziehung der Gemeinschaft
zu ihrem Gotte in ständiger Wiederholung pflegen, Gottes stete Gegenwart und Hilfe
bewirken, den geordneten Gang der Dinge, des Gemeinwesens, der Welt gewährlei-
sten; - in der Not die ausserordentlichen Opfer, so etwa die des eigenen Sohns seitens
des Königs, der in belagerter Festung trotz Ausweglosigkeit den Sieg gewinnen
möchte; - der Gedanke solidarischen Leidens, des Leidens des unschuldigen Gottes-
knechtes für alle (Deuterojesaias), Christi Opfertod.
Im Philosophieren löst sich der Opfergedanke von allen Formen einer Institution,
von der Zweckbezogenheit auf die Gottheit und ihre Leistungen, von dem bestimm-
ten Inhalt eines Glaubens. Er übersetzt sich in speculative Einsicht. Die Spekulation
sieht den Gang alles Werdens durch das Moment der Negativität, ich muss in der Zeit
entweder teilnehmen an den Gegensätzen oder kann nicht leben; es gibt keine Wahr-
heit ohne Falschheit, kein Gutes ohne Böses, es gibt nicht Leben ohne Tod. Es gelingt
kein Aufstieg ohne Verzicht, keine Verwirklichung ohne Vernichtung von Möglich-
keiten. Die speculative Einsicht bis zur Erhellung des Sinns von Scheitern, schliesslich
zum Verstummen vor dem undeutbaren Scheitern ist ein unerlässlicher Grund philo-
sophischer Haltung. Sie ermöglicht das Wissen um die Busse der Endlichkeit, die zu
ertragen ist. Sie erweckt den Willen zum Leiden, das in einer Situation unumgänglich
wird, wenn der Entschluss der Existenz nicht verraten werden soll. Sie schult die Ge-
duld, sie fordert das Ja trotz allem. Wie der Einzelne darin seinen Bezug auf Transcen-
denz findet, das entspringt weder den Einrichtungen einer Religion, noch weniger dem
Verstände, sondern der unerzwingbaren Weise, wie er sich selbst von der Transcen-
denz geschenkt wird. Das Philosophieren erhellt den Raum, worin dies geschehen
mag, die Wege, die als Bedingung es ermöglichen, - oder esa spricht aus Erfahrung, die
zwar unübertragbar ist, aber den anderen erwecken und ermutigen darf.
Opfer wird nicht einem danach verlangenden Gotte gegeben, sondern in Weltüber-
windung vollzogen, wo die unerrechenbare Notwendigkeit keinen Ausweg lässt. Im
Opfer ist Gott die letzte Zuflucht, aber nicht der Empfänger.
cc. Gebet:322 Kultus ist Akt der Gemeinschaft, Gebet ist Tun des Einzelnen in seiner
Einsamkeit. Kultus gibt es universell, Gebet wird historisch hier und da sichtbar, so im
alten Testament entschieden erst bei Jeremias. Das geistige Gebilde der Liturgie, in der
der Kultus stattfindet, ist gefüllt mit Texten, die man Gebete nennt, weil durch sie die
Gottheit angerufen, gepriesen, gebeten wird. Aber das Wesentliche daran sind die aus
statt es im Ms. sowie in den Abschriften Gertrud Jaspers, A. F. und Schott sie