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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0467
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Grundsätze des Philosophierens

Es ist eine tiefer dringende, aber auch unzureichende Aushilfe, wenn wir die religi-
ösen Inhalte als Sprache verstehen, die der Philosoph rein als Sprache in vieldeutiger
Schwebe hört, die Menge aber nicht als solche erkennt, sondern leibhaftig real nimmt.
Auch diese Auffassung trifft mit dem Leibhaftigen eine religiös-psychologische Reali-
tät, aber vielleicht nicht die ursprüngliche Religion.
Was diese aber sei, bleibt unaufgeschlossen. Der Glaubende wird irgendwo still,
spricht zuletzt noch unzureichend vom »Geheimnis des Wortes«, oder vom Geheim-
nis der Sacramente. Philosophierend erreichen wir nicht, was hinter solchen Worten
steht. Was wir charakterisierend und erörternd darüber sprechen, ist ein blosses Um-
kreisen. Nichts von dem, was wir in empirischer Beobachtung von religiöser und kirch-
licher Realität psychologisch und sociologisch wahrnehmen, geben wir als unrichtig
preis oder lassen dessen Verschleierung zu, aber darüber hinaus bleibt eine Scheu aus
dem Bewusstsein, ein Wesentliches doch vielleicht immer zu verfehlen. So werden wir
weiter fragen, beklopfen, was hohl ist, bereit zu vernehmen, was an Substanz uns zu-
gänglich werden kann.
Nur ist ein Kompromiss in der Wahrhaftigkeit selber für den Philosophierenden
durch seinen Glauben an Gott, der Wahrheit in jedem Sinne fordert, unannehmbar.
Ein gutmütiges Nachgeben und Geltenlassen ist nicht angemessen. Bei allem Durch-
schauen der Abgleitungen und der Art der sich als Religion gebenden menschlichen
Realitäten ist das Hören auf den Ernst des religiösen Glaubens, wo er unantastbar ist,
notwendig für das Philosophieren, das vernünftig bleiben wilL Dass es etwas gibt, was
ihm offenbar unzugänglich ist, muss es in Bewegung halten.
dd. Die Ansprüche des Einzelnen: Die Ansprüche des Einzelnen sind nicht weni-
ger berechtigt als die der Masse. Der Mensch ist ebenso wesentlich Einzelner wie Glied
einer Gemeinschaft, er hört auf, Mensch zu sein, wenn er nur eines von beiden ist.
Der Mensch als Einzelner ist wesentlich ein Philosophierender. Als solcher muss er
leiden. Er leidet unter der Unerfüllbarkeit seines ihm mit allen Menschen gemeinsamen
Begehrens nach leibhafter Autorität, nach der Realität transcendenter Wirklichkeit,
nach greifbarer Offenbarung Gottes. Und er leidet unter der Tatsache der Kirche mit ih-
ren Ansprüchen und an den Menschen, denen dort Erfüllung wird, wo er unerfüllt
bleibt, wenn sie ihn nicht zu überzeugen vermögen. Da ist es wie Abbruch der Commu-
nicationsmöglichkeit von Mensch zu Mensch. Es ist, als ob eine Tür sich schlösse; der
religiös Glaubende scheint dann auf eine Weise gebunden, dass er den philosophisch
Glaubenden nur für verloren hält, ihn eigentlich nicht mehr hören und verstehen kann,
sein Wesen nicht mehr erblickt; dieser Religiöse hat den Sinn verloren für die Möglich-
keit der philosophischen Unbedingtheit, welcher alle Objektivität in der Schwebe bleibt,
für diesen Glauben ohne Garantien, für das Leben aus geschichtlichem Grunde ohne
Bindung an ein für alle übereinstimmend gütiges historisches Faktum. Der religiöse
Mensch in seinem Urbilde würde, sofern er in der tieferen Wahrheit zu Hause ist, verste-
 
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