Grundsätze des Philosophierens
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anschaubar. Mythen sind deutbar. In ihnen wird objektiv anschaulich, was zugleich
wirklich ist im inneren Handeln und Erfahren des Menschen. Hier: Der Geist gegen-
wärtiger Transcendenz; das Übernehmen des Leidens und Sterbens durch den Men-
schen derart, dass ihm darin sein Leben, die Auferstehung erwächst; der Anspruch ein-
geborenen Adels, ihm treu zu sein. Mythisch ist das Bild des Gottmenschen, den vor
Augen die eigene Existenz sich verwirklicht. Die Wirksamkeit dieses Bildes zur Vertie-
fung geistigen Lebens, zur Bewältigung des Leidens, zum Aufschwung eigenen Adels
ist unbezweifelbar. Aber auch der tiefsinnigste Mythus bleibt Mythus und wird nur,
sei es durch religiöse Wahrheit (die das Philosophieren nicht zu sehen vermag) [,] sei
es durch Täuschung zu einer objektiven Garantie.
Während jene drei Deutungen des Christusgeistes an sich gerade das treffen, was
Grund eigentlichen Philosophierens ist, ist das Eigentümliche des Christusglaubens die
Bindung an den Jesus-Christus, dieser philosophisch nicht begreifliche Ursprung eines
religiösen Glaubens, während der philosophische Glaube von Christus nicht weiss.
c. Angriffe gegen den Christusglauben. - Dass ein Mensch Gott sei[,] ist für den phi-
losophischen Glauben unmöglich. Der Anspruch des Christusglaubens ist unannehm-
bar für den aus Vernunft denkenden Philosophen?
Der Christusglaube widerstreitet dem Glauben an den einen Gott. Die dogmati-
schen Formulierungen des Christusglaubens bringen daherb rational unlösbare Span-
nungen zwischen Monotheismus und Vielgötterei (zwei oder drei Götter). Alle be-
stimmten, klaren Auffassungen werden in der Folge als haeretisch verworfen: Jesus ist
nur Mensch, Jesus Gott selbst (Gottmensch), Jesus ein Scheinleib, durch den Gott wirkt,
usw. - schliesslich wird der Glaubensinhalt in absurden Formulierungen als Geheim-
nis fixiert. Aber der faktische Christusglaube wandelt sich in jenen bestimmten Gestal-
ten ab, in denen entweder ein reiner Monotheismus sich durchsetzt und den Christus-
gott fallen lässt oder mannigfache Weisen der Vielgötterei das Feld behaupten.
Der Philosoph kann den Christusglauben beim andern anerkennen, Wahrheit darin
erblicken, sofern sich diese in der Wirklichkeit des glaubenden Menschen aus einer sol-
chen geschichtlichen Bindung zeigt. Er muss angesichts der Tatsache der ungeheuren
Wirkung des Christusglaubens in zwei Jahrtausenden, der Ergriffenheit hoher Men-
schen von ihm sich unablässig bemühen um Verständnis dieses Glaubens, wenn es ihm
auch nie gelingt. Sein einfacher Gedanke, der zur Ablehnung führt, würdec noch mehr
a nach Philosophen, im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. Die dogmatischen Formulierungen zeigen
die rationalen Unlösbarkeiten in den Widersprüchen der Christologie.
t> nach daher im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. im Trinitätsdenken
c nach würde im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. wegen seiner Simplicität
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anschaubar. Mythen sind deutbar. In ihnen wird objektiv anschaulich, was zugleich
wirklich ist im inneren Handeln und Erfahren des Menschen. Hier: Der Geist gegen-
wärtiger Transcendenz; das Übernehmen des Leidens und Sterbens durch den Men-
schen derart, dass ihm darin sein Leben, die Auferstehung erwächst; der Anspruch ein-
geborenen Adels, ihm treu zu sein. Mythisch ist das Bild des Gottmenschen, den vor
Augen die eigene Existenz sich verwirklicht. Die Wirksamkeit dieses Bildes zur Vertie-
fung geistigen Lebens, zur Bewältigung des Leidens, zum Aufschwung eigenen Adels
ist unbezweifelbar. Aber auch der tiefsinnigste Mythus bleibt Mythus und wird nur,
sei es durch religiöse Wahrheit (die das Philosophieren nicht zu sehen vermag) [,] sei
es durch Täuschung zu einer objektiven Garantie.
Während jene drei Deutungen des Christusgeistes an sich gerade das treffen, was
Grund eigentlichen Philosophierens ist, ist das Eigentümliche des Christusglaubens die
Bindung an den Jesus-Christus, dieser philosophisch nicht begreifliche Ursprung eines
religiösen Glaubens, während der philosophische Glaube von Christus nicht weiss.
c. Angriffe gegen den Christusglauben. - Dass ein Mensch Gott sei[,] ist für den phi-
losophischen Glauben unmöglich. Der Anspruch des Christusglaubens ist unannehm-
bar für den aus Vernunft denkenden Philosophen?
Der Christusglaube widerstreitet dem Glauben an den einen Gott. Die dogmati-
schen Formulierungen des Christusglaubens bringen daherb rational unlösbare Span-
nungen zwischen Monotheismus und Vielgötterei (zwei oder drei Götter). Alle be-
stimmten, klaren Auffassungen werden in der Folge als haeretisch verworfen: Jesus ist
nur Mensch, Jesus Gott selbst (Gottmensch), Jesus ein Scheinleib, durch den Gott wirkt,
usw. - schliesslich wird der Glaubensinhalt in absurden Formulierungen als Geheim-
nis fixiert. Aber der faktische Christusglaube wandelt sich in jenen bestimmten Gestal-
ten ab, in denen entweder ein reiner Monotheismus sich durchsetzt und den Christus-
gott fallen lässt oder mannigfache Weisen der Vielgötterei das Feld behaupten.
Der Philosoph kann den Christusglauben beim andern anerkennen, Wahrheit darin
erblicken, sofern sich diese in der Wirklichkeit des glaubenden Menschen aus einer sol-
chen geschichtlichen Bindung zeigt. Er muss angesichts der Tatsache der ungeheuren
Wirkung des Christusglaubens in zwei Jahrtausenden, der Ergriffenheit hoher Men-
schen von ihm sich unablässig bemühen um Verständnis dieses Glaubens, wenn es ihm
auch nie gelingt. Sein einfacher Gedanke, der zur Ablehnung führt, würdec noch mehr
a nach Philosophen, im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. Die dogmatischen Formulierungen zeigen
die rationalen Unlösbarkeiten in den Widersprüchen der Christologie.
t> nach daher im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. im Trinitätsdenken
c nach würde im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. wegen seiner Simplicität