Grundsätze des Philosophierens
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alle Verstandesrichtigkeiten) [,] ist gerade darum nicht unbedingt, sondern auf einem
Standpunkt mit bestimmter Methode unter diesen Bedingungen richtig in der Welt.
Dass aussagbare Glaubensinhalte behandelt werden wie allgemeine Richtigkeiten, dass
Unbedingtheit des Inneseins des Wahren verwechselt wird mit Allgemeingiltigkeit der
immer partikularen Richtigkeiten, ermöglicht den Anspruch der Ausschliesslichkeit
einer Glaubenswahrheit. Nur im Christentum nun scheint, wenigstens in einem hi-
storisch wirksamen Umfang, die Ausschliesslichkeit der ergriffenen Glaubenswahrheit
zum Glauben selbst zu gehören, bewusst ausgesprochen und bis in alle Consequenzen
getrieben zu sein. Das kann für den Gläubigen ein neues Stigma für die Glaubwürdig-
keit seines Glaubens sein; der nicht Christusgläubige muss es wegen seiner Folgen als
die ursprüngliche Teufelei im Christentum erkennen.
Werfen wir einen Blick auf die Folgen der Ausschliesslichkeit. Schon das neue Te-
stament lässt den sonst so milden Christus3, der keinen Widerstand leistet und die
Bergpredigt lehrt, die Worte sprechen: ich bin nicht gekommen Frieden zu bringen,
sondern das Schwert.411 Es wird die ungeheure Alternative aufgestellt, ihm zu folgen
oder nicht zu folgen, damit den Weg des Heils oder des Verderbens zu beschreiten. Er
stellt vor die Wahl: wer nicht für mich ist, der ist wider mich412 (was nicht ausschliesst,
dass es in anderem Zusammenhang heisst: wer nicht wider uns ist, der ist für uns).413
Dem entspricht das weitere Verhalten der Christusgläubigen. Nach ihrer Heilsord-
nung sind alle Menschen verworfen, die vor Christus oder ohne Christus lebten. Die
vielen Religionen sind eine Summe von Unwahrheiten oder bestenfalls Teilwahrhei-
ten, ihnen Angehörige sind insgesamt Heiden. Sie sollen alle ihre Religion aufgeben
und dem Christusglauben folgen. Die universale Mission verkündet diesen Glauben
allen Völkern, propagandistisch mit allen Mitteln der Propaganda, im Hintergrund
mit dem Willen, den Glauben aufzuzwingen, wo er nicht willig angenommen wird
(coge intrare).414 In der Welt werden Gewaltakte, Vernichtungsmassnahmen, Kreuz-
züge entfesselt. Die Politik wird das raffiniert angewandte Mittel der Kirchen. Der
Machtwille wird zu einem Grundfaktum christlicher Wirklichkeit. Anspruch auf Welt-
herrschaft ist die Folge des göttlichen Ausschliesslichkeitsanspruches. In dem grossen
Process der Saecularisierung des Christentums - das heisst einer weltlichen Bewahrung
christlicher Gehalte unter Abstreifung ihrer Glaubensgestalt - steht noch der Fanatis-
mus des Unglaubens in Dependenz zum christlichen Ursprung13. Die saecularisierten
Gesinnungen und weltanschaulichen Positionen innerhalb der christlichen Kulturen
haben so häufig diesen Zug der Absolutheit, der Verfolgung anderer Gesinnungen, des
aggressiven Bekennens, der inquisitorischen Prüfung des anderen, immer in Folge des
a Christus im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu Jesus
b in Dependenz zum christlichen Ursprung im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu unter dem Ein-
fluss des Fanatismus des christlichen Ursprungs
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alle Verstandesrichtigkeiten) [,] ist gerade darum nicht unbedingt, sondern auf einem
Standpunkt mit bestimmter Methode unter diesen Bedingungen richtig in der Welt.
Dass aussagbare Glaubensinhalte behandelt werden wie allgemeine Richtigkeiten, dass
Unbedingtheit des Inneseins des Wahren verwechselt wird mit Allgemeingiltigkeit der
immer partikularen Richtigkeiten, ermöglicht den Anspruch der Ausschliesslichkeit
einer Glaubenswahrheit. Nur im Christentum nun scheint, wenigstens in einem hi-
storisch wirksamen Umfang, die Ausschliesslichkeit der ergriffenen Glaubenswahrheit
zum Glauben selbst zu gehören, bewusst ausgesprochen und bis in alle Consequenzen
getrieben zu sein. Das kann für den Gläubigen ein neues Stigma für die Glaubwürdig-
keit seines Glaubens sein; der nicht Christusgläubige muss es wegen seiner Folgen als
die ursprüngliche Teufelei im Christentum erkennen.
Werfen wir einen Blick auf die Folgen der Ausschliesslichkeit. Schon das neue Te-
stament lässt den sonst so milden Christus3, der keinen Widerstand leistet und die
Bergpredigt lehrt, die Worte sprechen: ich bin nicht gekommen Frieden zu bringen,
sondern das Schwert.411 Es wird die ungeheure Alternative aufgestellt, ihm zu folgen
oder nicht zu folgen, damit den Weg des Heils oder des Verderbens zu beschreiten. Er
stellt vor die Wahl: wer nicht für mich ist, der ist wider mich412 (was nicht ausschliesst,
dass es in anderem Zusammenhang heisst: wer nicht wider uns ist, der ist für uns).413
Dem entspricht das weitere Verhalten der Christusgläubigen. Nach ihrer Heilsord-
nung sind alle Menschen verworfen, die vor Christus oder ohne Christus lebten. Die
vielen Religionen sind eine Summe von Unwahrheiten oder bestenfalls Teilwahrhei-
ten, ihnen Angehörige sind insgesamt Heiden. Sie sollen alle ihre Religion aufgeben
und dem Christusglauben folgen. Die universale Mission verkündet diesen Glauben
allen Völkern, propagandistisch mit allen Mitteln der Propaganda, im Hintergrund
mit dem Willen, den Glauben aufzuzwingen, wo er nicht willig angenommen wird
(coge intrare).414 In der Welt werden Gewaltakte, Vernichtungsmassnahmen, Kreuz-
züge entfesselt. Die Politik wird das raffiniert angewandte Mittel der Kirchen. Der
Machtwille wird zu einem Grundfaktum christlicher Wirklichkeit. Anspruch auf Welt-
herrschaft ist die Folge des göttlichen Ausschliesslichkeitsanspruches. In dem grossen
Process der Saecularisierung des Christentums - das heisst einer weltlichen Bewahrung
christlicher Gehalte unter Abstreifung ihrer Glaubensgestalt - steht noch der Fanatis-
mus des Unglaubens in Dependenz zum christlichen Ursprung13. Die saecularisierten
Gesinnungen und weltanschaulichen Positionen innerhalb der christlichen Kulturen
haben so häufig diesen Zug der Absolutheit, der Verfolgung anderer Gesinnungen, des
aggressiven Bekennens, der inquisitorischen Prüfung des anderen, immer in Folge des
a Christus im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu Jesus
b in Dependenz zum christlichen Ursprung im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu unter dem Ein-
fluss des Fanatismus des christlichen Ursprungs