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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0522
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Grundsätze des Philosophierens

519

durch das das Wahre wirkt. Dialektische Widersprüche bedeuten eine Gedankenbe-
wegung, durch die hindurch das Wahre spricht, das einer direkten Aussage nicht zu-
gänglich ist.
Die biblische oder abendländische Religion ist ausgezeichnet durch die Fülle des
Widersprechenden, des polar Gespannten und des Dialektischen. Es liegt nicht im
Willen, sondern in der Bereitschaft, für das Widersprechende sich offen zu halten, dass
die vorantreibende Energie der Spannung erhalten, oder dass sie wiedergewonnen
wird, wo sie verloren ging. Verstand und Ruhebedürfnis ebenso wie zerstörender
Kampfeswille wollen die Gegensätze vernichten, um die Herrschaft des Eindeutigen
und Einseitigen aufzurichten.
In den biblischen Schriften sind die Grundspannungen wiederzuerkennen, die das
Abendland bis heute in Bewegung erhalten haben: Gott und Welt, Kirche und Staat,
Religion und Philosophie, Gesetzesreligion und prophetische Religion, Kultus und
Ethos.
Die gleichbleibende Wahrheit ist daher nur zugleich mit der Offenheit für die Un-
lösbarkeiten der Daseinsaufgaben, mit der Infragestellung jeder verwirklichten Er-
scheinung, mit dem Blick auf das Äusserste, mit dem Scheitern zu ergreifen.
3) Klärung und Steigerung des ewig Wahren: Durch die Erfahrung der Spannun-
gen, der Dialektik und der zur Entscheidung drängenden Widersprüche ist positiv zu
ergreifen, was sich in Worten nur abstrakt sagen lässt, die Wahrheit, die in den Grund-
charakteren der biblischen Religion umrissen wurde. Momente dieser Wahrheit, aus-
gesprochen als philosophischer Glaube, sind:
der Gedanke des einen Gottes, Schöpfers der Welt,
das Bewusstsein der Unbedingtheit im endlichen Menschen,
die Liebe als Grundwirklichkeit des Ewigen im Menschen,
die Tata als Bewährung des Menschen,
die Ordnungsideenb der Welt als zwar jeweils geschichtliche unbedingt, aber
ohne Absolutheit und Alleingiltigkeit ihrer Erscheinung,
die Ungeschlossenheit der geschaffenen Welt, ihr Unbestand aus sich, das Ver-
sagen aller Ordnungen an Grenzen, die Erfahrung des Äussersten,
die letzte und einzige Zuflucht bei Gott.
4) Die theologische Aufgabe: Wie unerheblichc wirkt alles Gesagte angesichts der
eigentlich religiösen Wirklichkeit! Sowie wir die Frage erörtern, geraten wird sogleich
auf die Ebene philosophischen Glaubens. Die Erneuerung religiösen Glaubens aus dem
a nach Tat im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf. - inneren und äusseren Handelns -
b Ordnungsideen nach dem Vorlesungs-Ms. 1945/46 statt Ordnungsideen in den Abschriften Gertrud
Jaspers und A. F.
c unerheblich im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Vdg. zu blass
d wir nach der Abschrift Schott statt sie in den Abschriften Gertrud Jaspers und A. F.
 
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