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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0526
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Grundsätze des Philosophierens

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Wegen, die wirklich gegangen werden müssen und nicht alle zugleich und gleicher
Weise gegangen werden können, erreichbar.
Daher ergreift rationale Kritik nicht dieses Wahre. Vielmehr muss der Mensch im
Zusammenhang seines eigenen Schicksals mit dem Angesprochenwerden aus der
Überlieferung die Wahrheit sich offenbar werden lassen, d.h. sie aneignen. Das kann
beim Hören aus der Tiefe des Vergangenen nur geschehen im Sichgeschenktwerden
durch inneres Handeln?
cc. Autorität für die Philosophie: Der Mensch als Philosoph ist ein je Einzelner, er
lebt auf eigene Gefahr aus eigenem Ursprung. Aber als Mensch ist er Glied eines Gan-
zen und auch sein Philosophieren steht von Anbeginn in diesem Zusammenhang.
Dieser Zusammenhang wird in der Welt durch Staat und Religion in autoritativen
Formen gesichert. Ohne Autorität ist kein Leben der Menschen möglich.
Die Kirchen sehen die Notwendigkeit der Massenführung, die Notwendigkeit der
gütigen Bilder der Wirklichkeit, der Handgreiflichkeit in der Welt, die Notwendigkeit
der geordneten Überlieferung. Ihr Anspruch auf umfassende Wahrheit verlangt Kon-
trolle des Tuns der Einzelnen und Lenkung ihrer öffentlichen Wirksamkeit. Als allum-
fassende Autorität des Wahren vermögen sie ihrer Idee nach alles Wahre aufzuneh-
men, allen Gegensätzen in sich Raum zu geben, überall die Synthese zu finden; was
kein Einzelner, da er endlich, besonders und einseitig ist, vermag, vermag die Kirche
in ihrer Totalität.
Dagegen aber stellt sich immer wieder der Einzelne. Er muss in solchem Totalitäts-
anspruch, da er doch stets von Menschen erhoben wird, und keineswegs die wahre To-
talität verwirklicht, im Grunde eine Täuschung sehen. Trotz Anerkennung einer wah-
ren Absicht in diesem Anspruch kann die faktische Autorität des Ganzen für ihn nicht
die ganze Wahrheit sein. Er seinerseits aber als Einzelner kann diese Wahrheit wie-
derum auch nicht verwirklichen. Wenn er sich in seinem geistigen Tun auf sich selber
stellt, so will er daher jene Totalität als Wirklichkeit des Anspruchs in der Welt, als un-
ersetzliche Gestaltung von Überlieferung und Erziehung, als Ordnungsform nicht be-
seitigen. Doch er will ihr verwehren, dass sie erstarre und ausschliesslich werde. Da-
her sucht er, auf eigene Gefahr, das Umfassendere im Durchbruch durch die Totalität
einer in der Welt wirklich gewordenen Autorität. Er sucht dies Umgreifende in dem
Entwurf seines philosophischen Glaubens.

a nach Handeln, im Vorlesungs-Ms. 1945/46 hs. Einf 11 Der Religion gegenüber aber wird Philosophie
folgende Sätze für die Praxis gutheissen: Um an der biblischen Religion in ihrer Überlieferung Teil
zu haben, ist erforderlich, in einer bestimmten Konfession aufzuwachsen. Jede Konfession ist gut
in dem Maasse, als die in ihr lebenden Menschen der biblischen Religion im Ganzen innewerden
trotz der bestimmten verendlichenden Ausformungen der besonderen historischen Gestalt. Treue
und geschichtliches Bewusstsein und Unbefangenheit binden an die Konfession, in der ich zum
Bewusstsein erwacht bin. Konfessionswechsel ist schwer möglich ohne Bruch in der Seele. 11
 
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