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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0541
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Grundsätze des Philosophierens

Jeder konstruktive Rahmen eines Einheitsentwurfs wird gesprengt durch die Genia-
lität des einzelnen Philosophen. In der Bindung an nachweisbare Zusammenhänge
bleibt doch das Unvergleichliche alles Grossen, das immer wie ein Wunder gegenüber
der erklärbaren und verstehbaren Entwicklung da ist.
Die Idee der Einheit der Philosophiegeschichte geht ihren Weg über die jeweils ge-
genwärtige philosophische Einsicht. Sie möchte jene ewige Philosophie treffen, welche
als ein in sich zusammenhängendes Leben sich ihre Organe und Gebilde, ihre Kleider
und Werkzeuge schafft, aber in ihnen nicht aufgeht. Nur aus dem Ernst gegenwärtigen
Philosophierens kann eine Berührung mit der ewigen Philosophie in historischer Er-
scheinung gelingen. Die historische Erscheinung ist das Mittel für die Verbundenheit in
der Tiefe zu gemeinsamer Gegenwart.
Historische Forschung erfolgt daher in Stufen der Nähe und Ferne. Der gewissen-
haft Philosophierende weiss, womit er jeweils zu tun hat, wenn er in den Texten forscht.
Die Vordergründe müssen klar und zum sicheren Besitz verständigen Wissens werden.
Aber Sinn und Gipfel historischen Eindringens sind die Augenblicke innersten Einver-
ständnisses. Da leuchtet auf, was allen Vordergrundsforschungen erst ihren Sinn gibt
und sie zugleich zur Einheit bringt. Ohne diese Mitte des philosophischen Ursprungs
ist alle Historie der Philosophie am Ende der Bericht einer Kette von Irrtümern und Ku-
riositäten.
e. Anfang und Ursprung. - Anfang ist das einmal in der Zeit beginnende erste Auf-
treten eines Denkens. Ursprung ist das jederzeit zugrundeliegende Wahre.
Aus den Missverständnissen, Verwässerungen, Verkehrungen des Gedankens müs-
sen wir zurückkehren zum Ursprung. Philosophieren ist Innewerden des Ursprüngli-
chen.
Da uns überlieferte Texte Leitfäden auf dem Wege zum eigenen ursprünglichen Phi-
losophieren sind, entsteht immer wieder die Verwechslung: im zeitlichen Anfang sei
der Ursprung zu finden. Rückkehr zu den Ursprüngen versteht sich als Rückkehr zu dem
Anfang: zu den ersten vorsokratischen Philosophen, zum anfänglichen Christentum,
zur anfänglichen Buddhalehre usw. Der jederzeit notwendige Weg zum Ursprung
nimmt daher durch die Jahrtausende hindurch immer wieder die Form an des Weges
zur Entdeckung der Anfänge.
Aber ein Anfang ist für uns in der Tat unauffindbar. Was für unsere Überlieferung
Anfang ist, ist ein relativer Anfang, war selber immer schon ein Ergebnis aus Vorausset-
zungen, die uns zum Teil verloren sind.
Es ist ein Grundsatz historischer Vergegenwärtigung, uns an das zu halten, was in
überlieferten echten Texten wirklich da ist. Geschichtliche Anschauung gewährt allein
das Sichvertiefen in das Erhaltene. Es ist vergebliche Bemühung, das Verlorene zu er-
gänzen, das Vorhergehende zu konstruieren, die Lücken zu füllen. Dabei wird immer
nur ein uns sonst Geläufiges in einen leeren Raum projiciert, ohne dass unsere ge-
 
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