Karljaspers - Piper Verlag (1955)
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143 Karl Jaspers an Klaus Piper
Typoskript; DLA, A: Piper, hs. PS, mit dem Stempel Prof. Karl Jaspers Basel Austrasse 126, hs. Notiz
von Jaspers In Badenweiler, Hotel Römerbad, bleiben wir bis 8. Oktober.
Basel, den 23. September 1955
Lieber Herr Piper!
Herzlichen Dank für Ihre beiden Briefe vom 16. September. Selbstverständlich schreibe
ich auf Ihren Wunsch das Vorwort für den Amiel.7°8 Ich besitze die Auswahl Ihres
Vaters von 1905 in der »Fruchtschale«, die ich mir seinerzeit gekauft habe.709 Ihr neuer
Band wird wohl unausweichlich eine beträchtlich kleinere Auswahl treffen. Das Vor-
wort kann ich nicht aus dem Ärmel schütteln, sondern muss mich noch einmal wie-
der mit Amiel abgeben. Ob er heute interessieren wird, wage ich nicht vorauszusagen.
Das Manuskript brauchen Sie mir nicht zu schicken, es genügt, wenn ich die Fahnen
erhalte.
Ohne meine Zusage, die ich Ihnen gebe, im geringsten einschränken zu wollen,
möchte ich Ihnen doch berichten, wie viel ich gegenwärtig absage, um die Konzentra-
tion auf die »Grossen Philosophen« nicht ständig zu unterbrechen. Denn eine Unter-
brechung ist doch jede Kleinigkeit, wenn es auch nur ein Tag oder zwei oder drei sind.
Wo Persönliches an mich herantritt wie das Geleitwort für Hannah Arendt oder für
Milosz oder jetzt ein neues für Jeanne Hersch, versage ich mich natürlich nicht.710
Aber, um ein Beispiel zu nennen, habe ich vor wenigen Wochen sogar eine Einladung
des Radios nach München abgelehnt, wo im nächsten Winter eine Reihe Abendvor-
träge stattfinden von in der Tat recht prominenten Leuten. Einen solchen Abendvor-
trag sollte ich nach meiner Wahl halten, aber in München anwesend, nicht auf Band,
das ich in Basel besprechen könnte. Man bot mir Flug oder eine Reise 1. Klasse und
ein Honorar von 2 000 Mark. Ich habe trotzdem nein gesagt, obwohl auf die »Propa-
ganda« und auf das Honorar nicht ganz gern verzichtend.7" Die moderne Welt ist eine
Verführung ohnegleichen, wenn man nicht die Jugendkraft hat, der Unterbrechun-
gen, Reisen, wenn sie nicht zu häufig stattfinden, nur Förderungen bedeuten.
Wegen der möglichen Kritiker wissen Sie natürlich besser Bescheid wie ich. Namen,
von denen ich gern auch eine kritische Besprechung hätte, wage ich gar nicht anzuge-
hen, denn das Interesse müsste von ihnen kommen. Zufällig ist mir ein Name in der
Schweiz vor kurzem aufgefallen: Ernst Merz in St. Abbondio (Tessin) brachte eine ganz
vortreffliche Besprechung der Bultmann-Diskussion im WINTERTHURER LANDBO-
TEN.712 Dies ist eine Zeitung, wie sie in der Schweiz hie und da vorkommt, nämlich
eine Lokalzeitung, die doch einen gewissen Rang hat, übrigens in diesem Falle ein
ungewöhnlich gutes Papier benutzt. Winterthur ist eine Industriestadt, wohl eine
der wohlhabenden in der Schweiz, mit einer gebildeten Gesellschaft, unter der die
berühmte Reinhartsche Kunstsammlung eine Rolle spielt.713 Ob eine Propagandawir-
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143 Karl Jaspers an Klaus Piper
Typoskript; DLA, A: Piper, hs. PS, mit dem Stempel Prof. Karl Jaspers Basel Austrasse 126, hs. Notiz
von Jaspers In Badenweiler, Hotel Römerbad, bleiben wir bis 8. Oktober.
Basel, den 23. September 1955
Lieber Herr Piper!
Herzlichen Dank für Ihre beiden Briefe vom 16. September. Selbstverständlich schreibe
ich auf Ihren Wunsch das Vorwort für den Amiel.7°8 Ich besitze die Auswahl Ihres
Vaters von 1905 in der »Fruchtschale«, die ich mir seinerzeit gekauft habe.709 Ihr neuer
Band wird wohl unausweichlich eine beträchtlich kleinere Auswahl treffen. Das Vor-
wort kann ich nicht aus dem Ärmel schütteln, sondern muss mich noch einmal wie-
der mit Amiel abgeben. Ob er heute interessieren wird, wage ich nicht vorauszusagen.
Das Manuskript brauchen Sie mir nicht zu schicken, es genügt, wenn ich die Fahnen
erhalte.
Ohne meine Zusage, die ich Ihnen gebe, im geringsten einschränken zu wollen,
möchte ich Ihnen doch berichten, wie viel ich gegenwärtig absage, um die Konzentra-
tion auf die »Grossen Philosophen« nicht ständig zu unterbrechen. Denn eine Unter-
brechung ist doch jede Kleinigkeit, wenn es auch nur ein Tag oder zwei oder drei sind.
Wo Persönliches an mich herantritt wie das Geleitwort für Hannah Arendt oder für
Milosz oder jetzt ein neues für Jeanne Hersch, versage ich mich natürlich nicht.710
Aber, um ein Beispiel zu nennen, habe ich vor wenigen Wochen sogar eine Einladung
des Radios nach München abgelehnt, wo im nächsten Winter eine Reihe Abendvor-
träge stattfinden von in der Tat recht prominenten Leuten. Einen solchen Abendvor-
trag sollte ich nach meiner Wahl halten, aber in München anwesend, nicht auf Band,
das ich in Basel besprechen könnte. Man bot mir Flug oder eine Reise 1. Klasse und
ein Honorar von 2 000 Mark. Ich habe trotzdem nein gesagt, obwohl auf die »Propa-
ganda« und auf das Honorar nicht ganz gern verzichtend.7" Die moderne Welt ist eine
Verführung ohnegleichen, wenn man nicht die Jugendkraft hat, der Unterbrechun-
gen, Reisen, wenn sie nicht zu häufig stattfinden, nur Förderungen bedeuten.
Wegen der möglichen Kritiker wissen Sie natürlich besser Bescheid wie ich. Namen,
von denen ich gern auch eine kritische Besprechung hätte, wage ich gar nicht anzuge-
hen, denn das Interesse müsste von ihnen kommen. Zufällig ist mir ein Name in der
Schweiz vor kurzem aufgefallen: Ernst Merz in St. Abbondio (Tessin) brachte eine ganz
vortreffliche Besprechung der Bultmann-Diskussion im WINTERTHURER LANDBO-
TEN.712 Dies ist eine Zeitung, wie sie in der Schweiz hie und da vorkommt, nämlich
eine Lokalzeitung, die doch einen gewissen Rang hat, übrigens in diesem Falle ein
ungewöhnlich gutes Papier benutzt. Winterthur ist eine Industriestadt, wohl eine
der wohlhabenden in der Schweiz, mit einer gebildeten Gesellschaft, unter der die
berühmte Reinhartsche Kunstsammlung eine Rolle spielt.713 Ob eine Propagandawir-