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Jaspers, Karl; Piper, Klaus; Fonfara, Dirk [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]; Schwabe AG [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 3, Band 8,2): Ausgewählte Korrespondenzen mit dem Piper Verlag und Klaus Piper 1942-1968 — Basel: Schwabe Verlag, 2020

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Karljaspers - Piper Verlag (1962)

Thema (Berlin) zu äußern. Sollten Sie zu einem politischen Gespräch doch Lust be-
kommen, so würde ich es persönlich außerordentlich begrüßen, wenn Sie den ent-
scheidenden Punkt, den Sie in Ihrem letzten Brief berührten, ins Zentrum rückten:
daß es die existentielle Frage des Westens und damit auch die entscheidende Frage für
den Weltfrieden ist, ob sich im Westen die ethisch begründete Solidarität herstellt, die
Bedingung ist, um den am Abgrund des heißen Krieges angesiedelten Kalten Krieg all-
mählich in die Ko-Existenz zu wandeln.
Eben kommt eine Mitteilung von Bondy, mit dem ich kürzlich im Verlag eine gute
Unterhaltung hatte, daß er das Gespräch mit Ihnen am 18./19. 11. führen und mir dann
gern das Manuskript zeigen wolle. Ich machte Bondy noch eine Anregung zu dem
Gespräch, die ich versuchen will, hier kurz zu wiederholen: nämlich die Frage einzu-
beziehen, inwiefern viele heutige Intellektuelle im Irrtum sind, die glauben, daß die
aktiven, auf die Verbesserung der menschlichen Verhältnisse gerichteten Kräfte nur
vom »utopischen«, dialektischen, weil nur so entschlossen auf die Zukunft gerichte-
ten Denken entbunden werden -, nicht aber aus dem »transzendental-existentialisti-
schen« Denken, weil dies letztlich tragisch-konservativ gestimmt sei, am »Scheitern«
die Grenze des menschlichen Handelns feststelle und deshalb nicht die weitgestalten-
den menschlichen Kräfte entwickle und fördere. Ich wollte damit die unterschwel-
lige, freilich eines tiefergehenden philosophischen Denkens ermangelnde Stimmung
bezeichnen, wie sie mir heute unter den Intellektuellen weit verbreitet zu sein scheint.
Bondy meint, daß dies in der Tat für das Gespräch, das er mit Ihnen plant, ein interes-
santer Punkt sein könne.
Sie haben in Gedanken an meiner Reise zur »Gruppe 47« nach Berlin teilgenom-
men. Meine Frau fuhr mit, um die dort studierende Regina zu sehen1373 - natürlich
nach einigem sorgenvollen Überlegen wegen der gerade ausgebrochenen Cuba-Krise.
Wir sagten uns aber nach Prüfung, daß die Russen nicht so plump reagieren und
gleich Berlin zernieren werden. In Berlin war es ganz ruhig, nur der Grunewald hallte
nächtlich von den Schüssen des gerade dort abgehaltenen Manövers wider. Die Aug-
stein-Affäre schlug natürlich unter diesen Schriftstellern wie eine Bombe ein. Eine
schlimme Sache offenbar. Manche Begleitumstände des polizeilichen Vorgehens sind
alarmierend. Aber es war für mich selbstverständlich ganz unmöglich, mich hinter
die Resolution zu stellen, die von etwa dreissig Schriftstellern unterzeichnet wurde.1374
Das tiefe Besorgnis Erregende ist, daß der gesamte Vorgang, wie Sie schrieben, beweist,
wie sehr es noch an der sittlich verpflichteten Solidarität in den staatlich-politischen
Grundfragen fehlt.
Ich begegnete in Berlin Frau Dr. Margret Boveri. Ich erklärte mich interessiert für
ein Buch, das sie zur Zeit schreibt - nämlich eine Geschichte des »Berliner Tageblatts«
von 1933-1945. Dies soll, wie mir Frau Dr. Boveri sagte, eine auf einer gründlichen
[Er]forschung aller verfügbarer Materialien beruhende zeitgeschichtliche Studie wer-
 
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