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Jaspers, Karl; Piper, Klaus; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 3, Band 8,2): Ausgewählte Korrespondenzen mit dem Piper Verlag und Klaus Piper 1942-1968 — Basel: Schwabe Verlag, 2020

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486

Karl Jaspers - Piper Verlag (1965)

Urlaub hatte, viel mit mir zusammen, wie ich andrerseits in Berlin mit Robert Have-
mann.1554
Die intellektuelle Landschaft der Bundesrepublik ist ja durch eine gewisse Links-
Rechts-Zweiteilung gezeichnet - ein aber nur oberflächliches Schema, das den Indi-
viduen nicht gerecht wird. Holthusen gehört im allgemeinen Urteil zu den »Rech-
ten«. Er ist aber der Realität der heutigen Weltverfassung genau so aufgeschlossen wie
beispielsweise Enzensberger. Holthusen gibt leider manchmal einer gewissen Nei-
gung zum persönlichen Ressentiment nach und versteht es dadurch, sich Feinde zu
machen. Die geistige Grundgesinnung aber, die er vertritt und besonders in den letz-
ten Jahren als Literaturkritiker eigentlich immer entschiedener entwickelte, ist für
den intellektuell-moralischen Gesamthaushalt wichtig: Er wendet sich vor allem
gegen ein optimistisch-fortschrittsgläubig-aufweichendes Denken der sogenannten
»Linken«. Er wendet sich kritisch gegen solche, die atemlos nur »nach vorn« den-
ken. Er glaubt nicht, daß die aus den Jahrtausenden überlieferten Werte des »Wah-
ren und Schönen« durch gebastelte, von allem Fleisch des Sinnlich-Schönen befreite
Modelle einer »konkreten Poesie« in Frage gestellt sind. Er hat eine Dissertation über
Rilke geschrieben, die heute noch beachtet wird,1555 und ein permanentes Thema sei-
ner Arbeiten ist die »Bewußtseinslage der modernen Literatur«. Holthusen vertritt
die Meinung, daß wir, geistig-künstlerisch, in einem »postrevolutionären« Zeitalter
leben.
Hannah Arendt (die sich übrigens in New York hilfreich zu Holthusen verhielt)
weist zu Beginn ihres neuen Buchs über »Krieg und Revolution« (Vorabdruck in
der Januar-Nummer des »Merkur«) auf das polemische Wesen des Konservativismus
hin.1556 Ein wichtiger Hinweis, der in gewissem Sinn für Holthusen zutrifft. Die Kern-
frage sehe ich bei ihm in der Reaktion auf Hannah Arendts EICHMANN-Buch. Ich
habe mit ihm darüber stundenlang debattiert. Der Kern war etwa: Man kann sagen
(wie Holthusen), daß die geschichtlich-persönlich je einzig-schreckliche Situation
eines jüdischen Funktionärs, der in das Netz von Eichmann geriet, unvertretbar ist -
unzugänglich für den reflektierend-kritischen Geist, der »von außen« herantritt. Ähn-
lich äußerte sich mir gegenüber kürzlich in Berlin der jüdische Schriftsteller Jakov
Lind.1557 Er sagte, er hätte als Jude in Holland die Verfolgungen mitgemacht. Die hol-
ländischen Juden hätten sich im allgemeinen einfach genau so wie alle »norma-
len Bürger« verhalten, die in eine so schreckliche Situation geraten, auf die sie völlig
unvorbereitet sind und die sie zunächst jedenfalls überhaupt nicht verstehen können.
Mein Einwand nun gegenüber Lind wie Holthusen, im Sinne von Hannah Arendt:
man kann nicht bei dem Gedanken stehen bleiben, daß alle Dinge unter dem uner-
hörten Druck und in der beispiellosen Verzweiflung dieser Tage und Monate so kom-
men »mußten«. Man kann sich nicht in der Zustimmung zur geschehenen Wirk-
lichkeit, auch wenn sie tausend Gründe hat, die für sie »sprechen«, beruhigen.
 
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