Karl Jaspers - Piper Verlag (1965)
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nem Buche über Hannah Arendt geschrieben und freute mich der klugen Bemerkung
Holthusens inbezug auf diese Sache, die kein anderer Kritiker erkannt und ausgespro-
chen hat.
Meine Bemerkung, er könne sich umstellen, war durch seine Kritik veranlasst. Er
kann sozusagen allen Kritikern irgendwie folgen, bringt sie unwillkürlich auf ein glei-
ches Niveau, gibt diesem und jenem recht, aber ohne eine das Ganze durchdringende
Grundauffassung oder ohne eine substantielle Führung. Mir scheint er ungemein
sensibel, reich an Gesichtspunkten, fähig zu eindrucksvollen Formulierungen. Will
ich aber spüren: »was denkt er selber? Wessen Geist spricht hier?«, so fühle ich mich
ganz unsicher. Nun deuten Sie mir seine konservative Gesinnung, die seinem Denken
einen einheitlichen Charakter gibt. Sie berühren das Thema rechts-links, konserva-
tiv-fortschrittlich. Darüber darf ich mit Ihnen vielleicht bei Ihrem nächsten Besuch
ausführlicher sprechen. Jetzt gestatte ich mir nur eine kurze Bemerkung. Diesen
Gegensatz selber halte ich für vordergründlich. Beide Seiten gewinnen keinen Boden.
Hannah Arendt steht weder rechts noch links, aber ich nenne sie in einem anderen -
tieferen - Sinn »konservativ«, weil sie unausdrücklich, aber fühlbar mit ihrem Wesen
und Denken dem Grunde der Dinge verbunden ist. Daher die Ursprünglichkeit und
moralische Qualität ihrer Beobachtungen, der Ernst ihrer Leidenschaft. Man missver-
steht die Kraft dieses Denkens, wenn man es geistreich nennt und mit dem Geistrei-
chen, das in hohem Masse bei Holthusen auftritt, einer gemeinsamen Ebene zuord-
net.
Von der »politischen Jugendsünde« wusste ich nichts. Ich erfahre hiervon durch
Sie zum erstenmal; allerdings bin ich nicht so tolerant wie Sie. Nur darin stimme ich
Ihnen zu, dass gar kein Opportunismus damit verknüpft zu sein brauchte, aber es
bedeutet etwas, wenn ein Mensch von Intelligenz und solcher Wahrnehmungsfä-
higkeit, wie sie Holthusen gezeigt hat, zu jenem enthusiastischen Irrtum fähig war,
der eben doch mehr besagt als blosser Irrtum. Dann kommt es darauf an, dass er die
Umkehr öffentlich vollzogen hat. Doch von all dem weiss ich gar nichts.
Es fiel mir ein, dass Holthusen bald nach 1945 eine höchst kritische, ja fast tödli-
che Besprechung über Thomas Mann geschrieben hat.156° Sie machte mir grossen Ein-
druck, weil ich sie im wesentlichen für wahr hielt. Sie ist später verschwunden und -
so weit ich wahrnahm, als ich suchte - nicht fortgesetzt worden. War dieser Hellblick
in der Literatenwelt zu ernst gewesen?
Jetzt in der Besprechung H. Arendts schreibt er zum Schluss über die berühm-
ten Sätze von Tresckows (Über die 10 Gerechten in Sodom: dass Gott Deutschland
um ihrer - der Attentäter - willen, die für ihre Überzeugung sterben, nicht vernich-
ten wird)1561 einige sonderbare Worte. Diese Sätze »bezeichnen die einzige Chance,
in einem Lande zu leben, das mehr ist als ein blosser Koloss von stumpfsinniger tra-
ditionsloser Kraft«.1562 Es könnte doch sein, dass Holthusens Konservativismus sich
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nem Buche über Hannah Arendt geschrieben und freute mich der klugen Bemerkung
Holthusens inbezug auf diese Sache, die kein anderer Kritiker erkannt und ausgespro-
chen hat.
Meine Bemerkung, er könne sich umstellen, war durch seine Kritik veranlasst. Er
kann sozusagen allen Kritikern irgendwie folgen, bringt sie unwillkürlich auf ein glei-
ches Niveau, gibt diesem und jenem recht, aber ohne eine das Ganze durchdringende
Grundauffassung oder ohne eine substantielle Führung. Mir scheint er ungemein
sensibel, reich an Gesichtspunkten, fähig zu eindrucksvollen Formulierungen. Will
ich aber spüren: »was denkt er selber? Wessen Geist spricht hier?«, so fühle ich mich
ganz unsicher. Nun deuten Sie mir seine konservative Gesinnung, die seinem Denken
einen einheitlichen Charakter gibt. Sie berühren das Thema rechts-links, konserva-
tiv-fortschrittlich. Darüber darf ich mit Ihnen vielleicht bei Ihrem nächsten Besuch
ausführlicher sprechen. Jetzt gestatte ich mir nur eine kurze Bemerkung. Diesen
Gegensatz selber halte ich für vordergründlich. Beide Seiten gewinnen keinen Boden.
Hannah Arendt steht weder rechts noch links, aber ich nenne sie in einem anderen -
tieferen - Sinn »konservativ«, weil sie unausdrücklich, aber fühlbar mit ihrem Wesen
und Denken dem Grunde der Dinge verbunden ist. Daher die Ursprünglichkeit und
moralische Qualität ihrer Beobachtungen, der Ernst ihrer Leidenschaft. Man missver-
steht die Kraft dieses Denkens, wenn man es geistreich nennt und mit dem Geistrei-
chen, das in hohem Masse bei Holthusen auftritt, einer gemeinsamen Ebene zuord-
net.
Von der »politischen Jugendsünde« wusste ich nichts. Ich erfahre hiervon durch
Sie zum erstenmal; allerdings bin ich nicht so tolerant wie Sie. Nur darin stimme ich
Ihnen zu, dass gar kein Opportunismus damit verknüpft zu sein brauchte, aber es
bedeutet etwas, wenn ein Mensch von Intelligenz und solcher Wahrnehmungsfä-
higkeit, wie sie Holthusen gezeigt hat, zu jenem enthusiastischen Irrtum fähig war,
der eben doch mehr besagt als blosser Irrtum. Dann kommt es darauf an, dass er die
Umkehr öffentlich vollzogen hat. Doch von all dem weiss ich gar nichts.
Es fiel mir ein, dass Holthusen bald nach 1945 eine höchst kritische, ja fast tödli-
che Besprechung über Thomas Mann geschrieben hat.156° Sie machte mir grossen Ein-
druck, weil ich sie im wesentlichen für wahr hielt. Sie ist später verschwunden und -
so weit ich wahrnahm, als ich suchte - nicht fortgesetzt worden. War dieser Hellblick
in der Literatenwelt zu ernst gewesen?
Jetzt in der Besprechung H. Arendts schreibt er zum Schluss über die berühm-
ten Sätze von Tresckows (Über die 10 Gerechten in Sodom: dass Gott Deutschland
um ihrer - der Attentäter - willen, die für ihre Überzeugung sterben, nicht vernich-
ten wird)1561 einige sonderbare Worte. Diese Sätze »bezeichnen die einzige Chance,
in einem Lande zu leben, das mehr ist als ein blosser Koloss von stumpfsinniger tra-
ditionsloser Kraft«.1562 Es könnte doch sein, dass Holthusens Konservativismus sich