Karl Jaspers - Piper Verlag (1966)
509
Seite 165. Hier werden verschiedene Schriften erwähnt: Kogon, Abendroth, Hanno-
ver, Seifert. Was bedeutet »Hannover«?a Ist hier die Ortsangabe der Schrift in die Reihe
der Autorennamen hineingerutscht?1618
Die Entlarvung der versuchten Notstandsgesetze halte ich für besonders wichtig
und eindrucksvoll mit dem entscheidenden Hinweis, daß die »Vaterlandspartei« im
Grunde zweimal Deutschland in den Untergang geschickt hat und daß die Gefahr
besteht, daß sie jetzt zum dritten Mal den Weg ins Verhängnis einschlägt.1619 Wichtig
ist ferner Ihr Tadel der Presse, die, wie auch ich beobachtete, die Notstandsgesetzge-
bung nicht mit dem gehörigen Nachdruck behandelt und diskutiert hat.l62°
Seite 185 Mitte. Es heißt hier, nach Erwähnung von Franco und der Militärdiktaturen
in Asien und Südamerika: »man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier
eine allgemeine Tendenz über die Erde geht, weil die Völker demokratisch versagen.«
Kann man sagen, daß die Völker als Völker in jenen Ländern versagen, also die Men-
schen? Die in diesen Ländern faktisch bestehenden Militärdiktaturen sind Ergebnisse
der jeweiligen historischen Entwicklungen (die bisher nicht zu den Formen des gesell-
schaftlich-politischen Daseins geführt haben, die für eine funktionierende Demokra-
tie Voraussetzung sind). Sind die Völker Subjekte, die man beschuldigen kann (denn
im Wort »versagen«b liegt doch eine moralische Beschuldigung)?1621
Ich will natürlich nicht in den von Ihnen auch in dieser Schrift mit Recht zurück-
gewiesenen Denkfehler verfallen, der eine Notwendigkeit, einen Zwangsverlauf der
Geschichte konstruiert (wegen dieses falschen Denkens hat die marxistische Dogma-
tik zur Unfreiheit und Knechtschaft geführt). Aber die menschlichen Möglichkeiten
sind nicht beliebig,' politisch sind sie durch den faktischen Entwicklungsstand eines
Volkes, durch die konkreten Strukturen, in denen es lebt, mit bedingt. Dabei liegen die
Dinge in Wirklichkeit außerordentlich differenziert in den Ländern, die Sie erwähnen.
Eben hatte ich ein Gespräch mit dem politischen Journalisten Werner Holzer, von
dem wir in unserer Reihe »Panoramen der modernen Welt« einen Afrikaband vorbe-
reiten.1622 Holzer war seit dem Krieg etwa vierzigmal in Afrika und erzählte außeror-
dentlich interessant über die ganz verschiedenartigen Versuche der neuen, einhei-
mischen Regierungen, dort die Probleme ihrer Länder zu lösen. Dabei ein klassisches
Beispiel für die gefühlsmässig »qualitativ« oft völlig falschen Vorstellungen, die man
bei uns über die »Wildheit« oder »Grausamkeit« der Neger hat: Holzer berichtete, daß
die an sich schrecklichen Mau-Mau-Aufstände in den ganzen Jahren, während denen
sie herrschten, insgesamt etwas mehr als dreissig Todesopfer von Weißen forderten
(davon etwa die Hälfte Polizisten), die blutige Niederschlagung des 1948 (oder 1949)
a am Rand hs. Notiz von Jaspers Name[,] erl.
b versagen unterstrichen sowie am Rand hs. Notiz von Jaspers will ich ändern
c am Rand hs. Notiz von Jaspers Richtig
509
Seite 165. Hier werden verschiedene Schriften erwähnt: Kogon, Abendroth, Hanno-
ver, Seifert. Was bedeutet »Hannover«?a Ist hier die Ortsangabe der Schrift in die Reihe
der Autorennamen hineingerutscht?1618
Die Entlarvung der versuchten Notstandsgesetze halte ich für besonders wichtig
und eindrucksvoll mit dem entscheidenden Hinweis, daß die »Vaterlandspartei« im
Grunde zweimal Deutschland in den Untergang geschickt hat und daß die Gefahr
besteht, daß sie jetzt zum dritten Mal den Weg ins Verhängnis einschlägt.1619 Wichtig
ist ferner Ihr Tadel der Presse, die, wie auch ich beobachtete, die Notstandsgesetzge-
bung nicht mit dem gehörigen Nachdruck behandelt und diskutiert hat.l62°
Seite 185 Mitte. Es heißt hier, nach Erwähnung von Franco und der Militärdiktaturen
in Asien und Südamerika: »man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier
eine allgemeine Tendenz über die Erde geht, weil die Völker demokratisch versagen.«
Kann man sagen, daß die Völker als Völker in jenen Ländern versagen, also die Men-
schen? Die in diesen Ländern faktisch bestehenden Militärdiktaturen sind Ergebnisse
der jeweiligen historischen Entwicklungen (die bisher nicht zu den Formen des gesell-
schaftlich-politischen Daseins geführt haben, die für eine funktionierende Demokra-
tie Voraussetzung sind). Sind die Völker Subjekte, die man beschuldigen kann (denn
im Wort »versagen«b liegt doch eine moralische Beschuldigung)?1621
Ich will natürlich nicht in den von Ihnen auch in dieser Schrift mit Recht zurück-
gewiesenen Denkfehler verfallen, der eine Notwendigkeit, einen Zwangsverlauf der
Geschichte konstruiert (wegen dieses falschen Denkens hat die marxistische Dogma-
tik zur Unfreiheit und Knechtschaft geführt). Aber die menschlichen Möglichkeiten
sind nicht beliebig,' politisch sind sie durch den faktischen Entwicklungsstand eines
Volkes, durch die konkreten Strukturen, in denen es lebt, mit bedingt. Dabei liegen die
Dinge in Wirklichkeit außerordentlich differenziert in den Ländern, die Sie erwähnen.
Eben hatte ich ein Gespräch mit dem politischen Journalisten Werner Holzer, von
dem wir in unserer Reihe »Panoramen der modernen Welt« einen Afrikaband vorbe-
reiten.1622 Holzer war seit dem Krieg etwa vierzigmal in Afrika und erzählte außeror-
dentlich interessant über die ganz verschiedenartigen Versuche der neuen, einhei-
mischen Regierungen, dort die Probleme ihrer Länder zu lösen. Dabei ein klassisches
Beispiel für die gefühlsmässig »qualitativ« oft völlig falschen Vorstellungen, die man
bei uns über die »Wildheit« oder »Grausamkeit« der Neger hat: Holzer berichtete, daß
die an sich schrecklichen Mau-Mau-Aufstände in den ganzen Jahren, während denen
sie herrschten, insgesamt etwas mehr als dreissig Todesopfer von Weißen forderten
(davon etwa die Hälfte Polizisten), die blutige Niederschlagung des 1948 (oder 1949)
a am Rand hs. Notiz von Jaspers Name[,] erl.
b versagen unterstrichen sowie am Rand hs. Notiz von Jaspers will ich ändern
c am Rand hs. Notiz von Jaspers Richtig