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Jaspers, Karl; Piper, Klaus; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 3, Band 8,2): Ausgewählte Korrespondenzen mit dem Piper Verlag und Klaus Piper 1942-1968 — Basel: Schwabe Verlag, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.71782#0614
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Karl Jaspers - Piper Verlag (1966)

513

Seite 291ff. Sie fordern Verzicht auf die Wiedervereinigung und darüberhinaus (unter
gleichzeitigem Verzicht auf die Hallstein-Doktrin) aktive wirtschaftliche Unterstüt-
zung der Sowjetzone/DDR1636 (es fällt einem nach wie vor schwer, sich in der Bezeich-
nung eindeutig zu entscheiden). Die Frage, die Sie offen gelassen haben, ist, ob die
Bundesrepublik die DDR völkerrechtlich anerkennen soll.1637 Diese Frage ist dem DDR-
Regime wohl nach wie vor wichtiger als die ohne Zweifel sehr erwünschte wirtschaft-
liche Hilfeleistung. Es gibt ja viele Stimmen in der Bundesrepublik, die für die politi-
sche Anerkennung eintreten, weil sie sagen, sie sei die einzige Möglichkeit, um von
uns aus auf die Entwicklung in der DDR einzuwirken, die Liberalisierung zu fördern
und dadurch die Lage der Menschen zu verbessern.
Ich habe selbst kein Urteil bezüglich der natürlich sehr heiklen Frage der Aner-
kennung. Was die Hilfeleistung überhaupt anbelangt, so ist die Frage wohl, ob man
damit rechnen kann, daß die wirtschaftliche Stärkung des DDR-Staats, obwohl sie das
Regime politisch stärken muß, gleichzeitig - als stärkere Wirkung noch - auf lange
Sicht hin die Liberalisierung befördert. Ich habe mich darüber bei einem kleinen Emp-
fang auf der letzten Buchmesse mit Aussenminister Schröder1638 unterhalten, der mir
sagte, daß auch er im Prinzip zunehmende Kontakte bejahe, daß es aber bis jetzt noch
schwierig sei, realistisch abzuwägen: Ist die negative Wirkung der Stärkung des kom-
munistischen Regimes, und damit der politischen Schwächung seiner Untertanen
stärker oder müssen wir »mutig« und positiv sagen (so hat Schröder nicht formuliert),
daß wir als westliche Besucher und Geschäftspartner oder kulturelle Gäste schon
durch unsere Anwesenheit den Menschen im Osten »einen Auftrieb« geben und
das Bewußtsein der Machthaber sozusagen durch unser physisches In-Erscheinung-
Treten und Agieren verändern? Ich frage mich selbst ganz konkret, ob der Piper-Verlag
im kommenden Herbst auf der Leipziger Buchmesse individuell ausstellen soll oder
nicht. Suhrkamp hat es als einziger auf der letzten Messe demonstrativ getan. Anbei
ein einschlägiger Artikel in der >Welt< vom 14.1. über den neuen DDR-Kulturminister
Klaus Gysi.1639 Unser Autor Rolf Schneider hat mich mit Gysi auf der letzten Messe
bekannt gemacht.1640 Mein persönlicher Eindruck entspricht genau dem des Artikels
in der Welt. - Die wirkliche Frage aber ist die: Kann sich ein Mann wie Gysi noch als
militanter Kommunist, noch als Mitherrscher des künftigen Schicksals betrachten, -
glaubt er noch an die Weltrevolution, oder laboriert auch er pragmatisch und oppor-
tunistisch herum, den Umständen und Möglichkeiten sich anpassend.
Ich bitte Sie zu entschuldigen, wenn ich zu ausführlich werde, aber ich habe wirk-
lich das ganze Manuskript mit stärkster innerer Beteiligung gelesen - nicht nur die
»Aspekte der Bundesrepublik«, das dritte Stück,1641 sondern auch das zweite über die
»Bundestagsdebatten über die Verjährung von Morden des N.S.-Staats«.1642
Ich finde es großartig und überaus eindrucksvoll, wie Sie hier die - man könnte
sagen, sehr deutsche - pathetisch-sentimentale Selbstzufriedenheit vieler Abgeord-
 
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