Die christliche Paideia des Johannes Malalas
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Wert der traditionellen Bildung zunehmend fragwürdig erschien, wird besonders bei
Junilos deutlich, der aus Libyen stammte und im Jahre 541/542 die Nachfolge Tribo-
nians als quaestor sacripalatii antrat.72 In seinen Instituta Regularia Divinae Legis zeigt
Junilos nämlich die Alternative einer christlich ausgerichteten Bildung auf, indem er
darauf hinweist, dass in der Schule von Nisibis anstelle des grammatisch-rhetorischen
Curriculums ein an der Auslegung der Heiligen Schriften orientierter Unterricht
praktiziert werde.73
Doch gab es zur Zeit des Malalas durchaus noch Personen, die sich mit der pa-
ganen Bildungstradition identifizierten. Zwei besonders prominente Vertreter dieser
Bildungselite, Johannes Lydos und Prokop, hatten ihre herausgehobene Stellung in
der Bürokratie ihrer traditionellen Paideia zu verdanken. So diente Prokop als Se-
kretär des Feldherrn Beiisar, Johannes Lydos wiederum war in der Prätorianerprä-
fektur tätig und wurde von Justinian an die Hochschule von Konstantinopel berufen.
Diese beiden Karrieren belegen sowohl die Kontinuität der klassischen Bildung im 6.
Jahrhundert als auch die fortwährende Achtung, die ihr von höchster Stelle, zumin-
dest zeitweise, entgegengebracht wurde.74 Allerdings stellte die traditionelle, auf dem
grammatischen und rhetorischen Unterricht aufbauende Bildung offenbar nicht mehr
den Königsweg zu lukrativen Karrieren in der Bürokratie dar.75 Zunehmend gelangten
nämlich Personen in hohe und höchste Ämter, die über keine oder nur eine rudimen-
täre Bildung verfügten. Ein gutes Beispiel hierfür ist Johannes der Kappadokier, der
Prokop zufolge zwar nur eine mangelhafte elementare Bildung genossen hatte,76 auf-
grund seiner besonderen Fähigkeiten aber unter Justinian zum praefectuspraetorio Ori-
entes emporstieg.77 Junilos wiederum, von dem bereits die Rede war, verfügte Prokop
zufolge zwar über ausreichende Kenntnisse des Lateinischen (γράμματα δε Λατίνα
μέν έξεπίστάμενον), sein Griechisch - und nur dies konnte ja nach den gelten-
Diese negative Einschätzung der Situation unter Justinian wird jedoch nicht von allen geteilt, vgl. etwa
Downey (1958), der für Justinian eine positive Haltung gegenüber dem Wert traditioneller Bildung
annimmt, sofern deren Inhalte von christlichen Lehrern vermittelt wurden. Eine positive Einschätzung
auch bei Bandy (1983), S. ix: „Because Justinian fostered at Constantinople a highly favorable atmos-
phere in the area of the liberal arts and sciences, a distinguished array of intellectuals, many of whom
were associated with the government or with the court, adorned the age of Justinian.“ Diese Wider-
sprüche lassen sich nicht wegerklären, so dass man wohl mit Cameron (1991), S. 191 von einem „age of
cultural contradictions“ sprechen muss. Auch Maas (2003), S. 80 f. betont beide Aspekte: sowohl die auf
die Förderung der Bildung abzielenden als auch die zur Zurückdrängung der traditionellen Bildung
führenden Maßnahmen Justinians.
72 Zu Junilos vgl. PLRE IIIA, S. 742.
73 Maas (2003) macht sich besonders stark dafür, in Junilos den Vertreter einer alternativen Bildungskon-
zeption zu sehen.
74 Vgl. Maas (1992), S. 33.
75 Vgl. Bell (2013), S. 251 £, der von „diminishing returns“ für eine traditionelle rhetorische Bildung spricht.
Für eine administrative Karriere sei sie zunehmend irrelevant geworden, angesichts der antipaganen
Stimmung eventuell sogar von Nachteil.
76 Vgl. Procopius, De bello Persico I 24,12: Λόγων μέν των ελευθερίων καί παιδείας άνήκοος ήν.
οΰ γάρ άλλο οΰδέν ές γραμματιστοϋ φοιτώ ν έμαθεν, ότι μή γράμματα, καί ταϋτα κακά
κακώς.
77 Näheres zu Johannes dem Kappadokier vgl. PLRE IIIA, S. 627-635.
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Wert der traditionellen Bildung zunehmend fragwürdig erschien, wird besonders bei
Junilos deutlich, der aus Libyen stammte und im Jahre 541/542 die Nachfolge Tribo-
nians als quaestor sacripalatii antrat.72 In seinen Instituta Regularia Divinae Legis zeigt
Junilos nämlich die Alternative einer christlich ausgerichteten Bildung auf, indem er
darauf hinweist, dass in der Schule von Nisibis anstelle des grammatisch-rhetorischen
Curriculums ein an der Auslegung der Heiligen Schriften orientierter Unterricht
praktiziert werde.73
Doch gab es zur Zeit des Malalas durchaus noch Personen, die sich mit der pa-
ganen Bildungstradition identifizierten. Zwei besonders prominente Vertreter dieser
Bildungselite, Johannes Lydos und Prokop, hatten ihre herausgehobene Stellung in
der Bürokratie ihrer traditionellen Paideia zu verdanken. So diente Prokop als Se-
kretär des Feldherrn Beiisar, Johannes Lydos wiederum war in der Prätorianerprä-
fektur tätig und wurde von Justinian an die Hochschule von Konstantinopel berufen.
Diese beiden Karrieren belegen sowohl die Kontinuität der klassischen Bildung im 6.
Jahrhundert als auch die fortwährende Achtung, die ihr von höchster Stelle, zumin-
dest zeitweise, entgegengebracht wurde.74 Allerdings stellte die traditionelle, auf dem
grammatischen und rhetorischen Unterricht aufbauende Bildung offenbar nicht mehr
den Königsweg zu lukrativen Karrieren in der Bürokratie dar.75 Zunehmend gelangten
nämlich Personen in hohe und höchste Ämter, die über keine oder nur eine rudimen-
täre Bildung verfügten. Ein gutes Beispiel hierfür ist Johannes der Kappadokier, der
Prokop zufolge zwar nur eine mangelhafte elementare Bildung genossen hatte,76 auf-
grund seiner besonderen Fähigkeiten aber unter Justinian zum praefectuspraetorio Ori-
entes emporstieg.77 Junilos wiederum, von dem bereits die Rede war, verfügte Prokop
zufolge zwar über ausreichende Kenntnisse des Lateinischen (γράμματα δε Λατίνα
μέν έξεπίστάμενον), sein Griechisch - und nur dies konnte ja nach den gelten-
Diese negative Einschätzung der Situation unter Justinian wird jedoch nicht von allen geteilt, vgl. etwa
Downey (1958), der für Justinian eine positive Haltung gegenüber dem Wert traditioneller Bildung
annimmt, sofern deren Inhalte von christlichen Lehrern vermittelt wurden. Eine positive Einschätzung
auch bei Bandy (1983), S. ix: „Because Justinian fostered at Constantinople a highly favorable atmos-
phere in the area of the liberal arts and sciences, a distinguished array of intellectuals, many of whom
were associated with the government or with the court, adorned the age of Justinian.“ Diese Wider-
sprüche lassen sich nicht wegerklären, so dass man wohl mit Cameron (1991), S. 191 von einem „age of
cultural contradictions“ sprechen muss. Auch Maas (2003), S. 80 f. betont beide Aspekte: sowohl die auf
die Förderung der Bildung abzielenden als auch die zur Zurückdrängung der traditionellen Bildung
führenden Maßnahmen Justinians.
72 Zu Junilos vgl. PLRE IIIA, S. 742.
73 Maas (2003) macht sich besonders stark dafür, in Junilos den Vertreter einer alternativen Bildungskon-
zeption zu sehen.
74 Vgl. Maas (1992), S. 33.
75 Vgl. Bell (2013), S. 251 £, der von „diminishing returns“ für eine traditionelle rhetorische Bildung spricht.
Für eine administrative Karriere sei sie zunehmend irrelevant geworden, angesichts der antipaganen
Stimmung eventuell sogar von Nachteil.
76 Vgl. Procopius, De bello Persico I 24,12: Λόγων μέν των ελευθερίων καί παιδείας άνήκοος ήν.
οΰ γάρ άλλο οΰδέν ές γραμματιστοϋ φοιτώ ν έμαθεν, ότι μή γράμματα, καί ταϋτα κακά
κακώς.
77 Näheres zu Johannes dem Kappadokier vgl. PLRE IIIA, S. 627-635.