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Fabian Schulz
aus verschiedenen Codexresten zusammengesammelt und enthielten unter dem
Homer verschiedene Schriften, von größerer und älterer Form, die abgesehen von
einer Schrift liturgischen und sakralen Inhalt hatten. Daher ließ ich sie beiseite
und begann, jene Schrift zu betrachten, die meinen Eifer sehr antrieb, weil sie eine
Geschichte des griechischen Imperiums und seiner Kirche enthielt.“1 2
In diesen Zeilen, die Angelo Mai seiner Edition dieser griechischen Geschichte vo-
ranstellte, geriert er sich als Forscher, dem die wissenschaftliche Erkenntnis über die
eigene Gesundheit geht. Außerdem macht er deutlich, dass sein Fund auf Vorkenntnis
und Selektion basiert, also kein Produkt des Zufalls ist. Man spürt nicht nur den Ei-
fer, sondern auch den Stolz des Paläographen, der wieder eine Entdeckung gemacht
hat, die freilich nicht an seine größten Funde wie Ciceros De re publica heranreichte.3
Trotzdem sollten die Fragmente mehr Sprengkraft enthalten, als er vermutete.
Die vier längeren Fragmente, die Mai identifizierte, wurden 1839 unter dem Titel
De fragmentis historicis Tusculanis im Anhang des zweiten Bands des Spicilegium Ro-
manum veröffentlicht und zwanzig Jahre später in der Patrologia Graeca erneut abge-
druckt.
Frage nach dem Autor
Im Vorwort und in den Anmerkungen der minutiösen Edition trieb Mai eine Frage
um, auf die er keine befriedigende Antwort fand: die Frage nach dem Autor. Da in den
Fragmenten Justinian als „unser Kaiser“ tituliert wird und Mai die Schriftart auf das
6. Jahrhundert datierte, suchte er nach einem zeitgenössischen Autor und dachte an
Theodorus Lector, an Zacharias Rhetor oder an Petrus Patricius. An Malalas dachte
er nicht; vielmehr hielt er den unbekannten Historiker, den er gefunden hatte, für eine
Quelle des Malalas, weil er wie Humphrey Hody4 annahm, dass Malalas erst zu Be-
ginn des 9. Jahrhunderts gelebt habe (nicht zuletzt wegen seines ,barbarischen4 Stils).
Außerdem fand er in den Fragmenten vieles, was in der Standardedition fehlte oder
von ihr abwich.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts regten sich Stimmen, die Malalas früher ansetzten
und die Haupthandschrift, den Bodleianus (11./12. Jh.), für unvollständig erklärten.5 6
In dieser Frage kam Edwin Patzig 1890 auf die Tuskulanischen Fragmente zurück, die
weitgehend unbeachtet geblieben waren, und vertrat folgende These: Sie stammten
von Malalas, der ins 6. Jahrhundert gehöre, und stünden dem originalen Malalas nä-
her als der gekürzte Bodleianus. Das ist heute communis opinio.^
1 Meine Übersetzung aus dem Lateinischen. Heute heißt das Manuskript Codex Cryptoferratensis gr.
54 (Rocchi Z. a.XXIV).
3 Gerhardt (2012).
4 Dieser fügte der Editio princeps des Bodleianus durch Edmund Chilmead eine Abhandlung bei.
5 Mommsen (1872), S. 381-383.
6 Thurn (2000), S. iß-13.
Fabian Schulz
aus verschiedenen Codexresten zusammengesammelt und enthielten unter dem
Homer verschiedene Schriften, von größerer und älterer Form, die abgesehen von
einer Schrift liturgischen und sakralen Inhalt hatten. Daher ließ ich sie beiseite
und begann, jene Schrift zu betrachten, die meinen Eifer sehr antrieb, weil sie eine
Geschichte des griechischen Imperiums und seiner Kirche enthielt.“1 2
In diesen Zeilen, die Angelo Mai seiner Edition dieser griechischen Geschichte vo-
ranstellte, geriert er sich als Forscher, dem die wissenschaftliche Erkenntnis über die
eigene Gesundheit geht. Außerdem macht er deutlich, dass sein Fund auf Vorkenntnis
und Selektion basiert, also kein Produkt des Zufalls ist. Man spürt nicht nur den Ei-
fer, sondern auch den Stolz des Paläographen, der wieder eine Entdeckung gemacht
hat, die freilich nicht an seine größten Funde wie Ciceros De re publica heranreichte.3
Trotzdem sollten die Fragmente mehr Sprengkraft enthalten, als er vermutete.
Die vier längeren Fragmente, die Mai identifizierte, wurden 1839 unter dem Titel
De fragmentis historicis Tusculanis im Anhang des zweiten Bands des Spicilegium Ro-
manum veröffentlicht und zwanzig Jahre später in der Patrologia Graeca erneut abge-
druckt.
Frage nach dem Autor
Im Vorwort und in den Anmerkungen der minutiösen Edition trieb Mai eine Frage
um, auf die er keine befriedigende Antwort fand: die Frage nach dem Autor. Da in den
Fragmenten Justinian als „unser Kaiser“ tituliert wird und Mai die Schriftart auf das
6. Jahrhundert datierte, suchte er nach einem zeitgenössischen Autor und dachte an
Theodorus Lector, an Zacharias Rhetor oder an Petrus Patricius. An Malalas dachte
er nicht; vielmehr hielt er den unbekannten Historiker, den er gefunden hatte, für eine
Quelle des Malalas, weil er wie Humphrey Hody4 annahm, dass Malalas erst zu Be-
ginn des 9. Jahrhunderts gelebt habe (nicht zuletzt wegen seines ,barbarischen4 Stils).
Außerdem fand er in den Fragmenten vieles, was in der Standardedition fehlte oder
von ihr abwich.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts regten sich Stimmen, die Malalas früher ansetzten
und die Haupthandschrift, den Bodleianus (11./12. Jh.), für unvollständig erklärten.5 6
In dieser Frage kam Edwin Patzig 1890 auf die Tuskulanischen Fragmente zurück, die
weitgehend unbeachtet geblieben waren, und vertrat folgende These: Sie stammten
von Malalas, der ins 6. Jahrhundert gehöre, und stünden dem originalen Malalas nä-
her als der gekürzte Bodleianus. Das ist heute communis opinio.^
1 Meine Übersetzung aus dem Lateinischen. Heute heißt das Manuskript Codex Cryptoferratensis gr.
54 (Rocchi Z. a.XXIV).
3 Gerhardt (2012).
4 Dieser fügte der Editio princeps des Bodleianus durch Edmund Chilmead eine Abhandlung bei.
5 Mommsen (1872), S. 381-383.
6 Thurn (2000), S. iß-13.