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Karl-Joachim Hölkeskamp
numentalen, visuellen und performativen Medien und Strategien des self-fashioning
einer prominenten Familie der Nobilität. Zunächst ist festzuhalten, dass Pictor auch
und zugleich zum Chronisten seiner Familie wurde, indem er anscheinend eine ganze
Reihe von Episoden aus der offenbar reichen Familientradition aufgenommen und in
sein Narrativ der Geschichte Roms bis auf seine eigene Zeit eingeflochten hat - dar-
unter sehr wahrscheinlich auch den Mythos von der Abstammung der gens von Hera-
kles, dessen Ankunft in Italien jedenfalls eine prominente Rolle in seiner Darstellung
der Vor- und Frühgeschichte gespielt zu haben scheint.53
Darüber hinaus sind Mythen und Marksteine, einschneidende Ereignisse und
nicht zuletzt die exemplarisch gedeuteten Geschichten um legendäre große Gestal-
ten der Frühzeit, welche die ,Meistererzählung4 von Anfängen und Aufstieg der gens
togata bereichern, eng mit der Geschichte der gens Fabia verwoben - sicherlich muss
auf Fabius Pictor zurückgeführt werden, dass prominente Abkömmlinge dieses altpa-
trizischen Hauses auffällig oft gerade an dramatischen Wendepunkten der Geschichte
auftauchen, und sie erscheinen dabei interessanterweise keineswegs immer als positiv-
vorbildliche Helden. Die berühmte Geschichte vom Krieg der Fabier gegen das et-
ruskische Veii, den sie gewissermaßen im Namen der und für die res publica führten
und der schließlich im heroischen Untergang der 306 Gentilen am Cremera-Bach
endete,54 gehört ebenso dazu wie die Episode von den drei Fabiern, die als Gesandte
zu den Galliern nach Clusium geschickt wurden, um im Auftrag des Senats einen
Frieden auszuhandeln, dann aber contra ius gentium und „ungestüm, eher den Galliern
als Römern ähnlich“, mit dem clusinischen Heer gegen die Gallier kämpften, die sich
nun erst gegen Rom gewandt hätten: Damit waren die drei Fabier - die zwar als nobi-
lissimi fortissimique Romanae iuventutis gegolten hätten - direkt für die Katastrophe an
der Allia verantwortlich.55 Ungestüm, audacia, voreilige Siegesgewissheit, mangelnde
Vorsicht und Umsicht hatte auch schon bei der Katastrophe der gens in einem Hin-
terhalt an der Cremera eine Rolle gespielt.56
Ebenso „ungestüm“ wie diese Fabier war auch ein anderer Fabius - zumindest in
seiner Jugend: Jener bereits erwähnte Rullianus, der als bedeutendster Feldherr der
Samnitenkriege und Sieger von Sentinum 295 zu einer Ikone werden sollte, hatte sich
zunächst als undisziplinierter und ungehorsamer Heißsporn kompromittiert: Gegen
den ausdrücklichen Befehl des Dictators Papirius Cursor soll er als magister equitum
die Schlacht gegen die Samniten gesucht und glanzvoll gewonnen haben - auf die-
sen schweren Verstoß gegen die althergebrachte disciplina militaris, der unnachgie-
53 In dem Dipinto aus Tauromenion wird sein Bericht über „die Ankunft des Herakles in Italien“ aus-
drücklich hervorgehoben: FRH 1 Fi = FRHist 1T7.
54 Livius, ab Urbe condita II 48,8-50,11; Dionysius Halicarnassensis, Antiquitäten Romanae IX 15,2-7; 18,5—
22,6; Diodorus Siculus, Bibliotheca historica XI 53,6; Ovidius, Fasti II193-242; Silius Italiens, Pimica VI
637-640. Vgl. dazu bereits F. Münzer, Fabius 159, RE VI 2 (1909), Sp. 1873-1880, hier 1877-1879; Ogilvie
(1970), S. 359-366, sowie die genaue Analyse von Smith (2006), S. 290-295.
55 Livius, ab Urbe condita V 35,5-38,10, Zitate: 36,6 bzw. 36,1; Dionysius Halicarnassensis, Antiquitäten
Romanae XIII12 (wo allerdings nur von zwei Fabiern die Rede ist).
56 Livius, ab Urbe condita II 50,3-6; Dionysius Halicarnassensis, Antiquitäten Romanae IX 20,1-21,6; Ovi-
dius, Fasti II 213-234.
Karl-Joachim Hölkeskamp
numentalen, visuellen und performativen Medien und Strategien des self-fashioning
einer prominenten Familie der Nobilität. Zunächst ist festzuhalten, dass Pictor auch
und zugleich zum Chronisten seiner Familie wurde, indem er anscheinend eine ganze
Reihe von Episoden aus der offenbar reichen Familientradition aufgenommen und in
sein Narrativ der Geschichte Roms bis auf seine eigene Zeit eingeflochten hat - dar-
unter sehr wahrscheinlich auch den Mythos von der Abstammung der gens von Hera-
kles, dessen Ankunft in Italien jedenfalls eine prominente Rolle in seiner Darstellung
der Vor- und Frühgeschichte gespielt zu haben scheint.53
Darüber hinaus sind Mythen und Marksteine, einschneidende Ereignisse und
nicht zuletzt die exemplarisch gedeuteten Geschichten um legendäre große Gestal-
ten der Frühzeit, welche die ,Meistererzählung4 von Anfängen und Aufstieg der gens
togata bereichern, eng mit der Geschichte der gens Fabia verwoben - sicherlich muss
auf Fabius Pictor zurückgeführt werden, dass prominente Abkömmlinge dieses altpa-
trizischen Hauses auffällig oft gerade an dramatischen Wendepunkten der Geschichte
auftauchen, und sie erscheinen dabei interessanterweise keineswegs immer als positiv-
vorbildliche Helden. Die berühmte Geschichte vom Krieg der Fabier gegen das et-
ruskische Veii, den sie gewissermaßen im Namen der und für die res publica führten
und der schließlich im heroischen Untergang der 306 Gentilen am Cremera-Bach
endete,54 gehört ebenso dazu wie die Episode von den drei Fabiern, die als Gesandte
zu den Galliern nach Clusium geschickt wurden, um im Auftrag des Senats einen
Frieden auszuhandeln, dann aber contra ius gentium und „ungestüm, eher den Galliern
als Römern ähnlich“, mit dem clusinischen Heer gegen die Gallier kämpften, die sich
nun erst gegen Rom gewandt hätten: Damit waren die drei Fabier - die zwar als nobi-
lissimi fortissimique Romanae iuventutis gegolten hätten - direkt für die Katastrophe an
der Allia verantwortlich.55 Ungestüm, audacia, voreilige Siegesgewissheit, mangelnde
Vorsicht und Umsicht hatte auch schon bei der Katastrophe der gens in einem Hin-
terhalt an der Cremera eine Rolle gespielt.56
Ebenso „ungestüm“ wie diese Fabier war auch ein anderer Fabius - zumindest in
seiner Jugend: Jener bereits erwähnte Rullianus, der als bedeutendster Feldherr der
Samnitenkriege und Sieger von Sentinum 295 zu einer Ikone werden sollte, hatte sich
zunächst als undisziplinierter und ungehorsamer Heißsporn kompromittiert: Gegen
den ausdrücklichen Befehl des Dictators Papirius Cursor soll er als magister equitum
die Schlacht gegen die Samniten gesucht und glanzvoll gewonnen haben - auf die-
sen schweren Verstoß gegen die althergebrachte disciplina militaris, der unnachgie-
53 In dem Dipinto aus Tauromenion wird sein Bericht über „die Ankunft des Herakles in Italien“ aus-
drücklich hervorgehoben: FRH 1 Fi = FRHist 1T7.
54 Livius, ab Urbe condita II 48,8-50,11; Dionysius Halicarnassensis, Antiquitäten Romanae IX 15,2-7; 18,5—
22,6; Diodorus Siculus, Bibliotheca historica XI 53,6; Ovidius, Fasti II193-242; Silius Italiens, Pimica VI
637-640. Vgl. dazu bereits F. Münzer, Fabius 159, RE VI 2 (1909), Sp. 1873-1880, hier 1877-1879; Ogilvie
(1970), S. 359-366, sowie die genaue Analyse von Smith (2006), S. 290-295.
55 Livius, ab Urbe condita V 35,5-38,10, Zitate: 36,6 bzw. 36,1; Dionysius Halicarnassensis, Antiquitäten
Romanae XIII12 (wo allerdings nur von zwei Fabiern die Rede ist).
56 Livius, ab Urbe condita II 50,3-6; Dionysius Halicarnassensis, Antiquitäten Romanae IX 20,1-21,6; Ovi-
dius, Fasti II 213-234.