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Internationale Tagung "Die Weltchronik des Johannes Malalas im Kontext spätantiker Memorialkultur" <2016, Tübingen>; Borsch, Jonas [Hrsg.]; Gengler, Olivier [Hrsg.]; Meier, Mischa [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Malalas-Studien: Schriften zur Chronik des Johannes Malalas (Band 3): Die Weltchronik des Johannes Malalas im Kontext spätantiker Memorialkultur — Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2019

DOI Kapitel:
II. Memoria und Kaisertum
DOI Kapitel:
Borsch, Jonas: Schriftliche Bildnisse: Personalisierte Erinnerung in Malalas' Portäts
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https://doi.org/10.11588/diglit.61687#0051
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Jonas Borsch

zuvorderst als „Repräsentationsmonumente“ fungieren.1 In Antike wie Mittelalterwa-
ren bildliche Porträts Auftragswerke, welche die gezeigte Person in dezidiert positiver
Weise abbilden sollten.2
Im Folgenden soll es um eine andere Art von „Porträts“ gehen, nämlich um physi-
sche Beschreibungen von Einzelpersonen in der historiographischen, biographischen
oder auch fiktionalen Literatur. Der Begriff aus der Kunstgeschichte, der auf den ersten
Blick grenzverwischend zu sein scheint, wird hier für diese Gruppe deswegen verwen-
det, weil er das semantische Potenzial verdeutlicht, das bildlichen Personendarstel-
lungen in der klassisch-archäologischen Porträtforschung traditionell zugeschrieben
wird: Sie sind dazu geeignet, Botschaften über bestimmte Werte zu vermitteln, die mit
der jeweils porträtierten Person verbunden werden (sollen). Schriftliche Porträts - als
welche hier alle Beschreibungen von historischen oder fiktiven Personen zusammen-
gefasst werden, die sich ganz oder teilweise auf das Aussehen beziehen - können aber
natürlich mit Darstellungen z.B. in der bildenden Kunst nicht einfach gleichgesetzt
werden. So bedarf es eines besonders hohen Maßes an Vereinfachung und Abstrak-
tion, um Menschen in Schriftform zu porträtieren, da Körperformen in der Literatur
eben nicht visuell abzubilden sind, sondern der Autor sich ihnen nur umschreibend
annähern kann. Das birgt auch ein Potenzial zur kritischen Stellungnahme, das hier
vielleicht häufiger ausgeschöpft worden ist als in der antiken bildenden Kunst. Ob-
wohl natürlich auch antike Schreiber äußeren Zwängen unterlegen haben, konnte ein
Biograph oder Historiker zweifelsohne autonomere Wertungen vornehmen als ein
mit der Anfertigung eines Porträts betrauter Bildhauer, der in den meisten Fällen im
Auftrag des jeweils Dargestellten arbeitete. Schriftliche Porträts können insofern ganz
andere Funktionen haben als materielle.
Im hiesigen Kontext sind Porträts schon deswegen von Interesse, weil sie ein ge-
radezu archetypisches Element der traditionellen römischen memoria betreffen. Die
Bedeutung des Erinnerns und Erinnertwerdens trat in der römischen Welt kaum
irgendwo so klar in Erscheinung wie in den Bildnissen: Von den republikanischen
Ahnenbildern, die die Vorhallen senatorischer Häuser schmückten und in Leichen-
prozessionen durch die Stadt getragen wurden, über die Kaiserbildnisse, die in hun-
derten von Reproduktionen über das gesamte Reich verteilt wurden, bis hin zu einer
prachtvoll inszenierten Galerie wie der der Julier,Trojer und summi viri auf dem Au-
gustusforum, die das Gedenken an die Ahnen mit dem an die Lebenden verband und
dabei gezielt den Brückenschlag zur Mythologie suchte, haben solche Bildnisse die
Erinnerung der römischen Oberschicht maßgeblich bestimmt.3

i Von den Hoff (2011), S. 15. Vgl. grundlegend Giuliani (1986), hier insbesondere S. 25-55. Zum griechi-
schen Porträt einführend Fittschen (1988); Überblick über Kontext und Funktionen von Porträts: Fejfer
(2008); Spätantike: Delbrueck (1933); Kiilerich (1993).

2 Die Interpretation solcher Bildnisse als Resultat kritischer Auseinandersetzung mit dem Sujet ist inso-
fern anachronistisch. Vgl. Fittschen (1988), S. 2: „Der Künstler als autonomer Charakterinterpret ist
eine moderne Fiktion, geboren aus dem Geniekult des vorigen Jahrhunderts.“

3 Zur Einbindung von Mythos und Geschichte in die monumentale Repräsentation der augusteischen
Herrschaft Zänker (1987), S. 196-217. Zur Erinnerungskultur in der römischen Republik siehe auch
 
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