Schriftliche Bildnisse. Personalisierte Erinnerung in Malalas’ Porträts
59
der die Physiognomiker“ bezeichnet worden, weil an dem berühmten Denker gerade
seine sprichwörtliche Hässlichkeit hervorgehoben und in eine ironisierende Interpre-
tation eingespeist wird.43
Anders als im Falle der historischen Personen Themistokles und Sokrates bildet
in der Wahrnehmung der sagenhaften griechischen Helden die äußere Schönheit ein
geradezu konstitutives Merkmal der Exzeptionalität und Gottesähnlichkeit.44 Mise-
ner hat aufgrund der fragmentarischen Überlieferung gezeigt, dass das Aussehen von
Heroen bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. in Schriften der peripatetischen Schule fiktiv
rekonstruiert und in stichwortartige Skizzen gegossen wurde.45 Damit existierten of-
fenbar bereits in hellenistischer Zeit Vorläufer für die bei Malalas zu findende Praxis
der Heroenporträts. Für Misener bedeuten diese Porträts eine Umkehrung der phy-
siognomischen Methode: Die äußere Gestalt des Helden wird erst aus seinem episch
überlieferten Handeln rekonstruiert.46 Engere Parallelen zu den Heroendarstellungen
des Malalas finden sich allerdings erst für spätere Zeit. Sie stehen in Verbindung mit
den ab der Kaiserzeit belegten ,alternativen4 Geschichten des trojanischen Krieges.
Einen solchen Bericht bietet etwa der Heroikos des Philostratos, der wohl Flavius
Philostratos, dem bekannten Autor der Vita Apollonii und der Vita sophistarum, zuge-
schrieben werden kann und in die 230er oder 240er Jahre n.Chr. gehört.47 Er enthält
als „center section“48 einen Katalog der achaiischen und trojanischen Heroen, der um-
fassend über die Eigenschaften der verschiedenen Helden berichtet und dabei auch
regelmäßig über deren Aussehen informiert.49 Eine direkte Parallele findet sich auch
in der Schrift de Excidio Troiae historia, einem romanartigen lateinischen Text des
5. Jahrhunderts n.Chr., der in Inhalt und Form stark an die „Ephemeris des Diktys“
erinnert, das Geschehen im Gegensatz zu dieser jedoch aus Sicht eines trojanischen
Kriegsteilnehmers, eines gewissen Dares, schildert. Auch in diesem Fall könnte eine
griechische Vorlage zugrunde gelegen haben, deren Existenz aber nicht bewiesen
ist.50 Wie die Schrift des Philostratos bietet die Historia des „Dares“ (auch Acta Di-
43 Giuliani (1996); vgl. zur Widersprüchlichkeit von Sokrates’ Erscheinung und Wesensart in der physio-
gnomischen Theorie auch Rohrbacher (2010), S. 99-100.
44 Mehl (2008), S. 36.
45 Misener (1924), S. 107-109. Neben einem einschlägigen Fragment des Dikaiarch (4. Jh. v.Chr. ) fuhrt
Misener (S. 109, Anm. 1) Hinweise auf entsprechende Praktiken bei Douris von Samos (4-/3. Jh. v.Chr. ),
Antigonos von Karystos (3. Jh. v.Chr. ), Neanthes von Kyzikos (wohl 3. Jh. v.Chr. ) und Hermippos
(3. Jh. v.Chr. ) an.
46 Misener (1924), S. 108.
47 So die Einschätzung von Aitken/Berenson Maclean (2001), S. xlii-xlv.
48 Aitken/Berenson Maclean (2001), S. xxxviii.
49 Philostratus, Heroicus 25,18-42,4. Zum Aussehen vgl. 26,10-14 (Antilochos und Nestor); 27,13 (Sthenelos
und Diomedes); 28,14 (Philoktet); 29,2 (Agamemnon); 29,5 (Menelaos); 31,1 (Aias der Lokrer); 32,1
(Cheiron); 33,39-41 (Palamedes); 34,5 (Odysseus); 35,2; 35,7 (Aias derTelamonier); 37,1-5 (Hektor); 38,3
(Äneas); 40,4-6 (Paris); 42,1; 42,3 (Euphorbes). Auch der von dem Katalog getrennte ausführliche Be-
richt über Achilles (44,5-57,17) enthält mehrere Passagen über dessen Aussehen (45,5 für den jugendli-
chen Achilles; 48,2-4 für den Erwachsenen).
50 Im Vorwort zu seiner Dares-Ausgabe äußerte Meister (1873), S. XIV-XV noch Zweifel an der Existenz
eines griechischen Originals. Anders dagegen die Einschätzung in den Arbeiten von Schissel von Fle-
59
der die Physiognomiker“ bezeichnet worden, weil an dem berühmten Denker gerade
seine sprichwörtliche Hässlichkeit hervorgehoben und in eine ironisierende Interpre-
tation eingespeist wird.43
Anders als im Falle der historischen Personen Themistokles und Sokrates bildet
in der Wahrnehmung der sagenhaften griechischen Helden die äußere Schönheit ein
geradezu konstitutives Merkmal der Exzeptionalität und Gottesähnlichkeit.44 Mise-
ner hat aufgrund der fragmentarischen Überlieferung gezeigt, dass das Aussehen von
Heroen bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. in Schriften der peripatetischen Schule fiktiv
rekonstruiert und in stichwortartige Skizzen gegossen wurde.45 Damit existierten of-
fenbar bereits in hellenistischer Zeit Vorläufer für die bei Malalas zu findende Praxis
der Heroenporträts. Für Misener bedeuten diese Porträts eine Umkehrung der phy-
siognomischen Methode: Die äußere Gestalt des Helden wird erst aus seinem episch
überlieferten Handeln rekonstruiert.46 Engere Parallelen zu den Heroendarstellungen
des Malalas finden sich allerdings erst für spätere Zeit. Sie stehen in Verbindung mit
den ab der Kaiserzeit belegten ,alternativen4 Geschichten des trojanischen Krieges.
Einen solchen Bericht bietet etwa der Heroikos des Philostratos, der wohl Flavius
Philostratos, dem bekannten Autor der Vita Apollonii und der Vita sophistarum, zuge-
schrieben werden kann und in die 230er oder 240er Jahre n.Chr. gehört.47 Er enthält
als „center section“48 einen Katalog der achaiischen und trojanischen Heroen, der um-
fassend über die Eigenschaften der verschiedenen Helden berichtet und dabei auch
regelmäßig über deren Aussehen informiert.49 Eine direkte Parallele findet sich auch
in der Schrift de Excidio Troiae historia, einem romanartigen lateinischen Text des
5. Jahrhunderts n.Chr., der in Inhalt und Form stark an die „Ephemeris des Diktys“
erinnert, das Geschehen im Gegensatz zu dieser jedoch aus Sicht eines trojanischen
Kriegsteilnehmers, eines gewissen Dares, schildert. Auch in diesem Fall könnte eine
griechische Vorlage zugrunde gelegen haben, deren Existenz aber nicht bewiesen
ist.50 Wie die Schrift des Philostratos bietet die Historia des „Dares“ (auch Acta Di-
43 Giuliani (1996); vgl. zur Widersprüchlichkeit von Sokrates’ Erscheinung und Wesensart in der physio-
gnomischen Theorie auch Rohrbacher (2010), S. 99-100.
44 Mehl (2008), S. 36.
45 Misener (1924), S. 107-109. Neben einem einschlägigen Fragment des Dikaiarch (4. Jh. v.Chr. ) fuhrt
Misener (S. 109, Anm. 1) Hinweise auf entsprechende Praktiken bei Douris von Samos (4-/3. Jh. v.Chr. ),
Antigonos von Karystos (3. Jh. v.Chr. ), Neanthes von Kyzikos (wohl 3. Jh. v.Chr. ) und Hermippos
(3. Jh. v.Chr. ) an.
46 Misener (1924), S. 108.
47 So die Einschätzung von Aitken/Berenson Maclean (2001), S. xlii-xlv.
48 Aitken/Berenson Maclean (2001), S. xxxviii.
49 Philostratus, Heroicus 25,18-42,4. Zum Aussehen vgl. 26,10-14 (Antilochos und Nestor); 27,13 (Sthenelos
und Diomedes); 28,14 (Philoktet); 29,2 (Agamemnon); 29,5 (Menelaos); 31,1 (Aias der Lokrer); 32,1
(Cheiron); 33,39-41 (Palamedes); 34,5 (Odysseus); 35,2; 35,7 (Aias derTelamonier); 37,1-5 (Hektor); 38,3
(Äneas); 40,4-6 (Paris); 42,1; 42,3 (Euphorbes). Auch der von dem Katalog getrennte ausführliche Be-
richt über Achilles (44,5-57,17) enthält mehrere Passagen über dessen Aussehen (45,5 für den jugendli-
chen Achilles; 48,2-4 für den Erwachsenen).
50 Im Vorwort zu seiner Dares-Ausgabe äußerte Meister (1873), S. XIV-XV noch Zweifel an der Existenz
eines griechischen Originals. Anders dagegen die Einschätzung in den Arbeiten von Schissel von Fle-